Ralf Flinkenflügel ist Direktor des Guide Michelin Schweiz – als Testesser möchte er aber anonym bleiben.

Ralf Flinkenflügel ist Direktor des Guide Michelin Schweiz – als Testesser möchte er aber anonym bleiben.
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Falstaff-Talk mit Ralf Flinkenflügel

Der Chefredaktor und Direktor des Guide Michelin Schweiz über die grössten kulinarischen Überraschungen des Jahres und die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie.

Falstaff: Am Dienstag, 2. Februar, wurden die neuen Michelin Sterne in der Schweiz verliehen. Was waren die grössten kulinarischen Überraschungen?
Ralf Flinkenflügel:
Die grösste Überraschung war für mich das Restaurant «Magdalena» in Rickenbach in Schwyz. Wir wussten natürlich schon, dass Dominik Hartmann sehr gute Stationen durchlaufen hat. Als er sich mit dem «Magdalena» selbstständig gemacht hat, hatten wir schon den Verdacht, dass da jemand ist, der für eine Auszeichnung in Frage kommt, aber, dass die Leistung so exzellent war, also das war schon eine Überraschung. Es ist ungewöhnlich für den Guide, dass wir gerade ein Restaurant, das wir neu einschreiben, dann sofort mit zwei Sternen auszeichnen. Aber wir gehen ja nicht nur einmal hin, es waren einige Inspektoren dort, unter anderem war ich auch selbst dort. Und die Leistung war so überzeugend, dass wir gesagt haben, es macht keinen Sinn, den Lesern nicht mitzuteilen, auf welchem Niveau dort gekocht wird. Das Essen hat sehr viel Freude gemacht – nicht nur von dem was man auf dem Teller vorgefunden hat, auch die ganze Atmosphäre, diese Leichtigkeit, diese Freundlichkeit. Rundum ein sehr schönes Erlebnis.

Hartmann war ja auch bei Andreas Caminada und hat in anderen guten Häusern gekocht – dabei versucht er allerdings nicht irgendetwas zu kopieren, sondern hat da seinen ganz eigenen Stil gefunden: Er kocht nicht ganz ohne Fisch und Fleisch, aber er versucht immer wieder den Fokus auf Gemüse zu legen und das gelingt ganz hervorragend. Ich kann mich an den Hauptgang erinnern, das war ein Gericht mit Randen – für mich war es so eine vegetarische Benchmark, die mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Das Restaurant «Marktküche» in Zürich wurde 2019 als erstes veganes Restaurant vom Guide Michelin ausgezeichnet, mit dem Restaurant «Kle» haben wir in diesem Jahr ein weiteres veganes Restaurant mit einer Michelin-Auszeichnung – das ist schon beachtenswert. Früher sagte man zu Gemüse bloss Beilage – diese Beilagen erhalten nun aber eine ganz andere Bedeutung, da sich die Köche auch viel intensiver mit diesen Produkten beschäftigen und herausgefunden haben, dass man daraus viel mehr machen kann und das gelingt in sehr vielen Restaurants wunderbar.

In der Schweiz wurden dieses Jahr erstmals «Grüne Sterne« verliehen – für Restaurants, die führend in Hinblick auf Nachhaltigkeit sind – sehen Sie darin eine zukunftsweisende Entwicklung?
Ja, wir wollen das auf jeden Fall unterstützen. Ich denke es ist sehr wichtig, dass man diese Restaurants nochmal extra herausstellt, da sie besonders in dieser Hinsicht ein ganz besonderes Engagement zeigen. Es reicht ja nicht einfach einen Gemüsegarten hinter dem Haus zu haben, es geht vielmehr um das Gesamtkonzept – das, was die Auszeichnung des «Grünen Sterns» auch zum Ausdruck bringt. Die Philosophie, die hinter dem Ganzen steht.

Welche Trends erkennt man aktuell noch in der Schweizer Spitzengastronomie?
Von einem Jahr auf das andere ist das nicht ganz so leicht zu definieren. Bei Trends ist es eigentlich immer ein schleichender Prozess. Gerade haben wir die vegetarischen und veganen Geschichten angesprochen – und wenn man sich die Zahlen genau ansieht, also die Entwicklung der Vegetarier oder der Personen, die weitgehendst auf Fleisch verzichten, dann ist klar zu erkennen, dass die Anzahl der Gäste immer grösser wird. Man sieht es auch in der aktuellen Ausgabe des Guide Michelin: Einige sehr gute Restaurants mit vegetarischem Fokus haben eine Auszeichnung erhalten und ich denke, dass sich noch mehr Restaurants auf dieses Klientel einstellen werden. Bereits heute ist zu beobachten, dass es eigentlich in allen guten Restaurants auch immer ein vegetarisches Menü als Alternative gibt. Ich glaube, dass das auch weiterhin ein wichtiger Punkt sein wird.

Die meisten Tester stammen aus dem Ausland – gab es in diesem Zusammenhang durch die Corona-Pandemie besondere Herausforderungen im vergangenen Jahr?
Ich will gar nicht verschweigen, dass wir hier schon jonglieren mussten. Teilweise durften die Franzosen nicht in gewisse Gebiete reisen, dann wieder andere Nationalitäten nicht, dann kamen die Quarantäne-Auflagen hinzu, wenn wir zurückkehrten. Dann durften die Italiener vom Inspektoren-Team plötzlich wieder einreisen. Wir haben uns dann wöchentlich abgestimmt, wer was übernimmt, wer wohin reisen darf. Aufgrund dessen, dass wir auf ein europäisches Team zurückgreifen können, haben wir immer wieder Lösungen gefunden, um unsere Testungen durchzuführen. Aber es war schon speziell.

Welche Herausforderungen brachte das vergangene Jahr angesichts der Corona-Krise sonst noch mit sich?
Als wir uns im Lockdown befanden, fand ich es toll, dass die Inspektoren beschlossen haben, ihren Urlaub in diesen Bereich zu verschieben, damit sie dann startklar sind, wenn es wieder losgeht. Das ist nicht selbstverständlich. Aber alle Inspektoren identifizieren sich so mit dem Beruf und mit dem Produkt, dass sie gesagt haben, dieses Jahr ist nun mal anders. Und das auf freiwilliger Basis – das sollte man nochmal deutlich herausstellen. Das war auch der Grund, weswegen wir in diesem Jahr keine Print-Version des Guide Michelin in der Schweiz haben: So hatten wir mehr Zeit die Restaurants zu testen und den Gastronomen eine faire Chance zu geben, um zu zeigen, was sie können.

Wie läuft eine Testrunde genau ab?
Unspektakulärer als man vielleicht denkt. Es ist so, dass die Inspektoren ihr Programm vorab selbst planen – sie müssen sich überlegen, wo sie hingehen, wo sie übernachten, wo sie einen Tisch reservieren. Dann geht der Tester in das Restaurant, nimmt Platz und schaut sich die Speisekarte an: Wir versuchen natürlich immer Gerichte auszuwählen, bei denen man das Handwerk erkennt – ich meine ein Steak zu braten ist nicht unbedingt die hohe Kochkunst – wir wählen also Gerichte aus, bei denen man schon erkennen kann, dass hier handwerkliches Geschick gefragt ist und Arbeit dahintersteckt. Wir versuchen immer möglichst viel zu sehen, vor allem unterschiedliche Dinge, die auf der Karte angeboten werden – meistens dann in Menü-Form.

Wurden die Bewertungsfaktoren des Guides in den vergangenen Jahren angepasst beziehungsweise verändert?
Der Stern ist ja eine reine Küchenauszeichnung. Also da spielen die ganzen Dinge darum herum keine Rolle – teures Silber, eine grosse Weinkarte oder grosse Service-Brigaden – das alles muss man zur Seite legen. Wir fokussieren uns darauf, was wir dann auf dem Teller haben. Die Kriterien hierbei haben sich nicht verändert, aber die Küchen haben sich verändert: Ich habe mir beispielsweise einmal den Guide von 1966 angesehen, der erste, in dem wir für Deutschland Sterne vergeben haben – lustigerweise auch noch 66 an der Zahl – darin haben wir zu jedem Sternerestaurant, das machen wir heute noch, sogenannte Beispiele oder Spezialitäten mitangeführt. 1966 wurde hierbei beispielsweise ein Holzfällersteak genannt – das ist natürlich heute nur noch schwer vorstellbar. Die Restaurants haben sich also verändert, das Niveau hat sich verändert, die Küchentechniken haben sich verändert – die Kriterien sind aber gleichgeblieben, man muss nur immer die Entwicklung mitverfolgen.

Sind Sie als Direktor auch selbst noch als Inspektor im Einsatz?
Ja absolut. Das ist ein ganz wichtiger Bereich meiner Arbeit. Ich bin zwar nicht in dem Umfang unterwegs, wie die Inspektoren, aber auch noch viele Wochen im Jahr. Vor allem, um so viel wie möglich zu sehen, gerade an neuen Konzepten oder Sternekandidaten. Dabei habe ich den Fokus ganz klar in der Schweiz und auf Deutschland, bin aber auch immer wieder international unterwegs auch, um zu sehen, was in anderen Ländern geboten wird und um andere Dinge kennenzulernen. Das gilt auch für die Inspektoren.

Abschliessend möchte ich noch sagen, dass die Gastronomen durch den Lockdown eine sehr schwere Phase hatten beziehungsweise ist es auch zurzeit wieder sehr schwierig: Umso mehr waren wir gerade nach dem ersten Lockdown äusserst angenehm überrascht, als wir dann die Restaurants wieder besuchen konnten: Zum einem hat es uns sehr gefreut, dass die Restaurants so gut besucht waren. Zum anderen konnte man die Freude spüren, die Motivation war unverkennbar und das hat sich dann auch in den guten Ergebnissen des diesjährigen Guides widergespiegelt.

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Rafaela Mörzinger
Redaktions- und Portalmanagerin Falstaff Schweiz
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