Patrick Marxer beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit den komplexen Prozessen der Misoherstellung.

Patrick Marxer beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit den komplexen Prozessen der Misoherstellung.
© Andrea Ebener

Patrick Marxer: Miso aus der Schweiz

Miso ist in. Die japanische Würzpaste bringt Umami auf den Teller und ist vielseitig in der Küche einsetzbar. Seit fünf Jahren stellt der Tüftler Patrick Marxer sie in Wetzikon her – in Schweizer Qualität.

In der alten Spinnerei in Wetzikon wird schon emsig gearbeitet, als wir Patrick Marxer von «DasPure» an diesem Tag besuchen. Die Sonne scheint, es wird wieder wärmer: nicht nur für uns Menschen, sondern auch für Marxers kleinen Helfer eine Wohltat. Der kleine Helfer heisst Aspergillus oryzae und ist ein Schimmelpilz, der besser als Koji bekannt ist und in Japan seit Jahrtausenden zum Fermentieren eingesetzt wird. Eines der bekanntesten Produkte, das durch Koji-Fermentation entsteht, ist Miso, und genau die stellt Marxer seit fünf Jahren in Wetzikon her.

Die Würzpaste ist reich an natürlichem Glutamat und erlebt seit geraumer Zeit nicht nur in der Spitzen­gastronomie oder in Ramensuppen einen Boom. Nicht zuletzt, da ihre Einsatzmöglichkeiten äusserst divers sind und von Saucen über Marinaden bis hin zu Süss­speisen reichen. Sie besitzt viel Umami, wie man die fünfte, würzige Geschmacksrichtung neben süss, sauer, bitter und salzig nennt, und verleiht Gerichten eine besondere Tiefe, die in der europäischen Küche klassischerweise durch reduzierte Jus oder durch künstlich gewonnenes Mononatrium­glutamat erreicht wird.

Auf die Idee, die vielfältige Paste selbst herzustellen, kam Marxer, als er sich damit auseinandersetzte, wie er die Zukunft von «DasPure» gestalten könnte. «Nach drei Jahren war für mich klar, dass wir nicht allein auf Fleisch setzen können, das liegt einfach nicht drin», erzählt Marxer. Dazu muss erwähnt sein, dass «DasPure» in den Anfangsjahren hauptsächlich tierische Lebensmittel veredelte, Schinken, Würste und Räucherfisch herstellte. Auch heute spielen diese Produkte anteilsmässig die Hauptrolle.

Neben Miso produziert Patrick Marxer auch eine Shoyu – so nennt man Sojasauce in Japan. Seine Schweizer Variante basiert jedoch auf Erbsen und Weizen.
© Andrea Ebener
Neben Miso produziert Patrick Marxer auch eine Shoyu – so nennt man Sojasauce in Japan. Seine Schweizer Variante basiert jedoch auf Erbsen und Weizen.

Herausforderung gesucht

Marxer begann, Gemüse zu räuchern und letztendlich zu fermentieren, jedoch fehlte dem mikrobiologisch versierten ehemaligen Laboranten die Dynamik bei diesen Her­stellungsarten. «Die klassische Milchsäuregärung, wie beim Sauerkraut beispielsweise, war für mich nicht spannend genug. Als ich mich dann mit asiatischer Fer­menta­tion auseinandersetzte, entdeckte ich den Koji und wusste: Das ist genau mein Ding. Da geht es nämlich um Biochemie, komplexe Prozesse, man muss auf die Salzachse achten, die Zeitachse, hat zwei Fermentationen, die nebeneinander statt­finden. Einzig mit natürlichem Sauer­teig zu arbeiten ist noch komplizier­ter», erzählt er mit leuchtenden Augen.

Eine neue Herausforderung zu finden, war – neben der Reduzierung der tieri­schen Produkte – eines seiner Hauptziele, denn der heute 61-Jährige möchte noch weit über das Rentenalter hinaus wirken.

Mittlerweile umfasst das Misosortiment von «DasPure» rund zwanzig Sorten.
© Andrea Ebener
Mittlerweile umfasst das Misosortiment von «DasPure» rund zwanzig Sorten.

Flauschiger Koji

Für seinen Koji verwendet Marxer nicht etwa Reis, wie in Japan üblich, sondern heimische Gerste oder Hirse. Beimpft mit Aspergillus oryzae wird daraus der flauschig-weisse Koji, der visuell durchaus an den bekannten Edelschimmel, beispielsweise von Käse, erinnert. Damit daraus Miso wird, benötigt Marxer nun noch Salz und einen Eiweisslieferanten. Auch hier setzt der Umami-Meister auf Heimisches. Statt der in Japan typischen Sojabohne verwendet er Futtererbsen, Lupinen oder Presskuchen aus der Lebensmittelproduk­tion.

Vieles davon ist Bruch, also beschädigt und nicht mehr für den Verkauf gedacht, und würde ohne Marxer zu Futtermittel weiterverarbeitet werden. «Wenn ich den Konsum von Tierischem verringern möchte, muss ich den Tieren das Fressen wegnehmen», sagt Marxer. Einen grossen Teil der Rohstoffe bezieht er beim innovativen Biobauern Stefan Brunner, der einen Hof in Aarberg führt. Der hat mittlerweile auch eine Sojasorte gefunden, die sich in der Schweiz wohlfühlt und effizient biologisch angebaut werden kann. Mit dieser wird Marxer künftig viel­leicht auch experimentieren, bis dahin bleibt er aber bei der Erbse.

Aspergillus oryzae oder Koji bringt die Fermentation in Schwung. Er wird seit Jahrtausenden im asiatischen Raum eingesetzt.
© Andreas Ebener
Aspergillus oryzae oder Koji bringt die Fermentation in Schwung. Er wird seit Jahrtausenden im asiatischen Raum eingesetzt.

Geschmacksexplosion voller Umami

Als wir in Marxers Wagen einsteigen und in Richtung Misofermentationslager nur wenige Fahrminuten von der Spinnerei in Wetzikon aufbrechen, erzählt er uns von einer neuen Kollaboration, bei der sich alles um Miso dreht und die treffenderweise den Namen «Misohaus» trägt. Neben «DasPure» sind die «White Rabbit Bakery» und «SudelNuppe» aus Zürich Teil des Projekts, das die Miso kulinarisch erlebbar macht. Bei der «SudelNuppe» entsteht daraus eine vegane Ramensuppe, bei der «White Rabbit Bakery» ein salziges Karamell mit Miso.

«Unglaublich spannend, denn man kann mit dem Produkt wirklich in der Küche spielen. Dieser Teil fasziniert mich sehr. Hat man eine Tür geöffnet, tun sich dahinter gleich wieder zwanzig neue auf», berichtet Marxer. Und damit hat er völlig recht, wie wir, angekommen im kühlen Misolager, erfahren. Marxer reicht uns eine Miso nach der anderen zum Verkosten, rund zwanzig werden es am Ende unseres Besuchs sein. Mit jeder einzelnen Sorte öffnet sich ein neues Geschmacksuniversum, das es zu erkunden gilt.

Besonders heraussticht eine Variante, die er mit Bergeller Rauch­kastanien hergestellt hat. Am Gaumen eine wahre Geschmacksexplosion voller Umami, dazu Raucharoma und unendliche aromatische Tiefe. «Diese Charge lasse ich vermutlich noch ein wenig reifen und bringe sie dann als Single Batch auf den Markt», sagt Marxer. Dann wird sie dem Umami-Meister aus Wetzikon vermutlich förmlich aus den Händen gerissen werden. Das wäre nicht verwunderlich.

© Andrea Ebener

Glutamat – die ganz natürliche Umamiquelle

Glutamat besitzt in unserem Kulturkreis einen zweifelhaften Ruf. Dabei ist der für den Umamigeschmack mitverantwortliche Stoff ganz natürlich und kommt in jeder Körperzelle vor. Entdeckt wurde er um 1907 vom japanischen Chemiker Kikunae Ikeda. Ikeda war vom besonderen Geschmack des Kombu, eines essbaren Seetangs, der in der traditionellen japanischen Küche weitverbreitet ist, angetan und ging diesem Geschmack auf den Grund. Kombu schmeckt weder süss noch sauer, nicht salzig oder bitter.

Ikeda vermutete, dass es sich um einen weiteren Grundgeschmack handle, und nannte ihn schlicht umami, was auf deutsch so viel wie lecker bedeutet. Daraufhin wollte der Forscher wissen, was für diesen leckeren Geschmack verantwortlich ist, und stiess nach einem Jahr Forschung auf ein unscheinbares weisses Pulver: Glutamat. Ein Stoff, der in vielen Lebensmitteln natürlich vorkommt. Käse, vor allem Parmesan, vollreife Tomaten, Bohnen, all diese Lebensmittel besitzen grosse Mengen an Glutamat, dem natürlichen Geschmacksverstärker.


Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2021

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