Eine der schönsten und ­lebenswertesten Städte Amerikas: die Universitätsstadt Boston.

Eine der schönsten und ­lebenswertesten Städte Amerikas: die Universitätsstadt Boston.
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So schmeckt Boston

Neuenglands größte Metropole ist eine Stadt mit vielen Parks, Uferpromenaden und mit Lebensqualität und dazu ein Eldorado für Feinschmecker.

Wenn sich im Herbst das Laub der Bäume in ein flammendes Farbenmeer verwandelt, beginnt in Neuengland die schönste Zeit des Jahres. Was für Biologen ein faszinierendes Zusammenspiel von Fotosynthese, warmen Tagen und ersten kalten Nächten ist, was den Indianern das Blut des »großen himmlischen Bären« symbolisiert, hat für den Reisenden einen kurzen, doch reizvollen Namen: Indian Summer. Für Wochen wogt ein Farbenmeer über die Wälder und lockt in die sonst so stillen Dörfer Besucher aus aller Welt. Doch nicht nur das Naturschauspiel der Laubfärbung macht diese Region so reizvoll. Es ist auch die Begegnung mit der frühen europäischen Besiedlung Amerikas.
In keiner anderen Stadt der USA finden Besucher so viele historische Orte. Die meisten Sehenswürdigkeiten liegen an einer etwa vier Kilometer langen, mit einem roten Streifen auf den Gehsteigen markierten Route, dem Freedom Trail. Old North Church, das Old State House aus dem Jahr 1713, Faneuil Hall, das Old South Meeting House sind nur einige Stationen. Die Route beginnt am Boston Common, dem ältesten öffentlichen Park der USA. 

Dort treffen wir Chloe Hill. Sie versammelt Genussmenschen um sich, die eine Food Tour gebucht haben. Gut drei Stunden sind wir mit der kleinen Gruppe zu Fuß unterwegs, um zum Beispiel im »Sweet« die besten Cupcakes der Stadt zu probieren oder im »Mooo«, eigentlich berühmt für seine Steaks, zu lernen, was es mit der Lobster Bisque auf sich hat. »Das ist eine feine Hummercremesuppe, bei der die Krustentiere in einer Mischung aus Brühe, Wein und Wasser lange köcheln. Zum Schluss wird das Hummerfleisch ausgelöst und die Suppe mit Crème fraîche und Cognac verfeinert. Guten Appetit!«, so Chloe. Ich erfahre auch, dass Hummer früher ein Armeleuteessen war und in der Kolonialzeit Gefängnisinsassen vorgesetzt wurde.
Nächste Station ist das »Union Oyster House«. Amerikas ältestes kontinuierlich betriebenes Restaurant bietet seit 1826 traditionelle Kost. Das Angebot reicht vom gebratenen Boston Scrod (eine Dorsch­art) über Muscheln bis hin zu Krabben. Nicht zu vergessen: Austern – ganze Berge der Schalentiere werden an der halbkreisförmigen Bar von den Gästen verzehrt. Außerdem gehen über 600 Hummer über den Tresen, und zwar täglich, verrät ein Kellner. Die meisten werden gekocht, nur mit Zitrone und Butter serviert und dann mit geübten Fingern gegessen. Wer keine Lust auf die ­lästige Arbeit mit der Hummerzange hat, bestellt Lobster Newburg mit einer feinen Sherry-Sauce. Auf Wein haben wir hier ausnahmsweise verzichtet und das würzige Bier aus der Hausbrauerei getrunken. Köstlich!

Eine große Auswahl an Craft-Bieren bietet auch das »Durgin-Park«. Chloe macht uns auf das Lokal im Faneuil Marketplace aufmerksam. »Established before you were born«, steht über dem Eingang, der leicht zu übersehen ist. Es gibt zwar einige Terrassenplätze, aber spannend wird es im ersten Stock. Eine knarrende Holztreppe führt hinauf in einen Saal, der längst eine Renovierung verdient hätte. An den Wänden zeugen Zeitungsausschnitte aus vergangenen Tagen von der Geschichte des Lokals, und auch die langen Tische, eingedeckt mit rot-weiß karierten Decken, sorgen für besonderen Charme. Schnell erkennt man, hier steht das Essen im Mittelpunkt und sonst nichts. Vor allem gehaltvolle Kost, wie sie körperlich schwer arbeitende Menschen im letzten Jahrhundert verlangten, steht auf der Karte.
Mächtige ­Prime-Rib-Steaks und Koteletts, serviert mit Boston Baked Beans oder Maisfladenbrot, kommen auf den Tisch und gehaltvolle Indian Puddings (mit Vanillecreme) und Apple Pan Dowdys (Apfelpastete) als Dessert. Alles schmeckt hervorragend und ist preiswert. Überhaupt bietet der Faneuil Marketplace mit unzähligen Cafés, Restaurants und Shops für jeden Geschmack etwas. Immer ist etwas los, es gibt Konzerte unter freiem Himmel, Feste und Ausstellungen, die Stimmung ist unkompliziert und heiter.

»Nur wenige Touristen entdecken den benachbarten Boston Public Market«, erzählt Chloe. Dort bieten rund 35 Produzenten aus Neuengland ihre frischen und ökologisch erzeugten Lebensmittel an. Da ist zum Beispiel die Corner Stalk Farm, die das ganze Jahr über frische Salate in ausgedienten Schiffscontainern mit minimalem Energie- und Wasserverbrauch produziert oder ­Finesse Pastries mit den leckeren Wasser­melonen-Macarons. Vieles kann vor Ort probiert werden, anderes wie Marblehead- ­Meeressalz oder in kleine Flaschen abgefüllte Dressings sind perfekte Mitbringsel. Bevor sich Chloe verabschiedet, verrät sie uns noch ihr Lieblingslokal. »Ich bin gern im North End. Dort gibt es eine lebendige Kneipenszene und die besten Pizzen der Stadt.« 

Neues Leben im North End und Seaport

Lange Zeit trennte eine Stadtautobahn auf Stelzen die Stadtmitte vom Wasser. Seit die Verkehrsader durch das gigantische Bauprojekt »Big Dig« unter die Erde verlegt wurde, zieht Leben ins North End und den Seaport District ein. Im italienisch geprägten Quartier North End bilden sich jeden Abend lange Warteschlangen vor »Giacomo’s Ristorante«, »Strega« oder »Mike’s Pastry«, und auch im gerade eröffneten »Mastro’s Ocean Club« am Fan Pier im Seaport District geht ohne Reservierung gar nichts. Es freuen sich vor allem Anwohner aus den luxuriösen Apartments mit Oceanview, die auf diesem Pier im Rekordtempo aus dem Boden gestampft werden, über das neue Restaurant. 

Tradition ist Trumpf

Seit 1982 gibt es das »L’Espalier«. Das klingt nicht nur französisch, Chef McClelland setzt auch auf Haute Cuisine à la France. Das spiegelt sich nicht nur auf der Weinkarte wider, sondern auch bei den diversen Menüfolgen. Wir entscheiden uns für Hummer, obwohl Heilbutt oder Lamm sicher auch eine gute Wahl wären. Der Lobster wird mit süßem Mais, Shimeji-Pilzen, Rettich und Mandelbutter serviert, ein Gedicht! Eher traditionell geht es auch im Restaurant »The Bristol« im Hotel »Four Seasons« zu. Das Hotel präsentiert sich zwar nach aufwendiger Renovierung mit hellen und freundlichen Farbtönen durchaus modern. Im Restaurant setzt die junge Jessica Biederman auf bewährte Klassiker wie Clam Chowder, Lobster, Steaks und Ente. »Das verlangen die Gäste einfach, und ich bin froh, dass ich mit so wunderbaren und frischen Produkten aus der Region arbeiten kann.« Der Fisch kommt jeden Tag ebenso fangfrisch auf den Tisch wie die Jakobs­muscheln aus der George Bank, die zu den beliebtesten Gerichten gehören.  
Jessica Biederman legt uns auch einen Ausflug ins Umland ans Herz. Wir entscheiden uns für »The White Barn Inn« in Kennebunk und erleben den kulinarischen Höhepunkt unserer Reise. Genau genommen sind es zwei Stallgebäude, die zu einem stilvollen Ensemble zusammengefügt wurden. Derek Bisonette tischt einen Lobster aus dem Dampfbad auf hausgemachten Fettuccine mit Karotten, Ingwer und Schneeerbsen in einer Cognac-Corail-Butter-Sauce auf. Dazu schenkt der Sommelier feine Weine ein. Was braucht es mehr?


Nicht nur das Laub leuchtet in Neuengland im Herbst in bunten Farben. Es gibt auch ganze Felder mit kräftigen Rottönen. Es ist Erntezeit für die dunkelroten Cranberrys. Weil sie im Inneren über Luftkammern verfügen, werden sie durch Überflutung des »Feldes« geerntet. Die gelösten Beeren schwimmen oben und bilden ein rotes Früchtemeer. Doch die Beeren überzeugen nicht nur optisch – sie schmecken, sind sehr gesund und aus der regionalen Küche nicht wegzudenken.
Verwendung finden sie als Zutat für Saucen, Relishes, Pies und Kuchen bis hin zu Longdrinks, Salaten und Broten. »Squash, Chestnuts and Cranberries« – das steht bei Jessica Biederman vom Restaurant »The Bristol« im Hotel »Four Seasons« im Herbst immer auf der Karte. »Ich gebe den Kürbis mit etwas Piment und Zimt in eine Pfanne mit zerlassener Butter, dazu etwas Salz und Pfeffer, und lasse die Kürbisstücke unter gelegentlichem Umrühren 15 Minuten garen«, verrät sie, »dann füge ich die Maronen dazu und nach weiteren zehn Minuten die Cranberrys. Das Ganze dünstet noch kurz und wird mit etwas Zucker abgeschmeckt. Etwas Besseres als Beilagen für ein festliches Essen wie den Braten zu Thanksgiving kenne ich nicht. Und es ist denkbar einfach zuzubereiten.« 

Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2017

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Detlef Berg
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