Wo so vieles wächst und gedeiht, können die Meister an den Herden aus dem Vollen schöpfen.

Wo so vieles wächst und gedeiht, können die Meister an den Herden aus dem Vollen schöpfen.
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Regionalporträt: Die goldene Schale am Bodensee

Zwei irische Mönche missionierten im 7. Jahrhundert die Gegend am Bodensee. Sie nannten sie ob ihrer Fruchtbarkeit und ihres Wohlstands eine »goldene Schale« – ein Begriff, der heute treffender ist denn je.

Schon beim Anreisen erahnt man, dass dies ein besonders gesegnetes Fleckchen Erde sein muss. Sanft neigt sich bei Weißensberg die A96 und gibt den Blick frei auf das blaue Schimmern. In der Ferne recken sich die Schweizer Schneegipfel in den Himmel, um dann weich und sattgrün in das Südufer einzutauchen. Unzählige weiße Segel tanzen auf dem Wellenglitzern und verschmelzen gegen Westen mit dem Sommerdunst. Am Nordufer prangen Apfelhaine, Hopfengärten, Weinberge und weitläufige Äcker und Felder. Prall gefüllt. Was hier so üppig aus dem Boden schießt, bekommt man in den Hofläden, die die Landstraßen säumen – erntefrisch oder zu Schmankerln verarbeitet wie im »Fuchshof« in Dingelsdorf.
Wo so vieles wächst und gedeiht, können die Meister an den Herden aus dem Vollen schöpfen: Ein solides Angebot an gutbürgerlichen Gasthäusern und Restaurants bietet regionale und saisonale Wirtshausküche – auf höchstem Niveau etwa im »Lamm im Kau« in Tett­nang oder im »Landgasthof Adler« in Lippertsreute. Verstreut um den See finden sich kleine Inseln der gehobenen Kochkunst, besonders in Konstanz. Unangefochtene Nummer eins bleibt das mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnete »Ophelia«. Hier zelebriert Dirk Hoberg Haute Cuisine in der Jugendstilvilla des wunderschönen »Riva Hotels«. Und auch das mit einem Stern prämierte »San Martino« von Jochen Fecht und Thomas Haist hat das Zeug zum Klassiker. In historischen Steinmauern verbinden sie Fine Dining mit moderner Gastlichkeit, dreimal die Woche noch einmal getoppt im separaten Gourmetbereich.

Im »Pinocchio« bringt Padrone Maurizio Canestrini seit 30 Jahren die Aromen und Düfte seiner toskanischen Kindheit an den Bodensee. Seine hausgemachte und immer frische Pasta schmecke besser als in Italien, heißt es. Einen Abstecher in die frankophile Küche macht die »Brasserie Colette Tim Raue«: Neben Berlin und München hat nun auch Konstanz sein »Colette« und punktet mit Bouillabaisse, Bœuf bour­guignon und Tarte au citron. In Meersburg weiß Markus Philippi im »Casala« im »Hotel
Residenz« seinen Stern seit Jahren zu verteidigen. Er vereint mediterrane Eleganz mit unverfälschtem Geschmack und interpretiert klassische Gerichte neu. Im »Schuppen 13« am Jachthafen von Langenargen serviert die sardische Familie Pusceddu mediterran Köstliches. Die Plätze auf der Terrasse direkt am See sind äußerst gefragt – vor allem, da nicht reserviert werden kann. Und wer keinen Platz ergattert hat: Die Pusceddus betreiben nebenan das »Malereck«. Hier speist man nicht weniger genussvoll, und die Küche spannt ihren Bogen rund um den Globus.

Frischer Wind in Lindau

Zwei »Newcomer« sorgen in Lindau für Aufsehen. Zum einen ist dies Julian Karr: Er eignete sich sein handwerkliches Rüstzeug in internationalen Spitzenküchen an und machte schon in der »Vila Joya« bei Dieter Koschina von sich reden. Mit seiner Frau Tanja eröffnete er letztes Jahr das Restaurant »KaRRisma« im »Adara Boutique-Hotel« in der Altstadt. Die höchstens 20 Sitzplätze sind begehrt bei den Gourmets rund um den Bodensee. Eine klassische Speisekarte gibt es nicht: Bei den abendlichen vier- oder sechsgängigen Überraschungsmenüs kommt schon mal Ungewöhnliches wie eine Bodenseeente oder eine Trüsche auf den Teller. »Das Gleiche wie alle zu machen, reizt mich nicht. Für mich wird es spannend, wenn ich Produkte verarbeite, die andere vielleicht nicht verwenden würden, und wenn ich meiner Kreativität freien Lauf lasse.«
Julian Karr erkundet die Wünsche, Vorlieben und Unverträglichkeiten jedes einzelnen Gasts und empfiehlt auch gleich die passenden Weine. Seinen eigenen Weg geht er auch bei der Weinkarte: »Alles, was in den Keller kommt, suche ich selbst aus. Ich biete nur das an, was meiner Meinung nach zu meinen Gerichten passt.« In der Küche verwandelt er ausschließlich markt- und fangfrische Produkte zu unglaublichen Gerichten. Und serviert diese wiederum selbst. »Auch fürs Abwaschen bin ich meistens zuständig.« Karr hat sein Konzept von vornherein so ausgelegt, dass er den Betrieb alleine stemmen kann. Seine Frau Tanja unterstützt ihn im Service, sofern es ihre Zeit als Mama des gemeinsamen Söhnchens zulässt.

Eine ehrwürdige Nachfolge

Einer Herausforderung ganz anderer Art stellt sich Toni Neumann im »Villino« am Lindauer Hoyerberg. Dort trat er letztes Jahr in die riesigen Fußstapfen von Reiner Fischer, der sich nach 25 Jahren in den Ruhestand verabschiedete. Und holte prompt den 19. Michelin-Stern für die noble Adresse, den ersten für sich! In vier Jahren als Fischers Souschef lernte er alles über »La cucina dei sensi«: leicht, raffiniert, mit mediterranem, fernöstlichem und doch regionalem Touch – perfekt in der Balance von Süße, Säure und Salz. Erstklassige Produkte aus der Region, aber auch aus aller Welt sucht Neumann sorgfältig aus und arrangiert sie zu kleinen Kunstwerken – für alle Sinne. Er entwickelt Bewährtes weiter und veredelt die anspruchsvolle »Villino«-Philosophie mit seiner Handschrift. »Wir haben ein tolles Team mit vielen Azubis, die regelmäßig zu den besten ihres Jahrgangs gehören«, sagt Toni Neumann. »Eigene Akzente setzen mein Team und ich immer mit Intuition, aber nicht ohne feste Grundlage, die auf Ausbildung und Erfahrung beruht. Denn erst, wenn man sein Handwerk beherrscht, kann man individuelle Kreativität einfließen lassen. Alles andere ist Schaumschlägerei.«

© Weissengruber & Partner

Blick nach Österreich und in die Schweiz

Auch ein Blick über die Grenzen lohnt sich: Im österreichischen Bregenz verbinden das extravagante Restaurant »Falstaff« im Casino und der neue Szenetreff »Pier 69« Festspielhaus, Uferpromenade und Hafen mit urbanem Flair. Auf der Schweizer Seite entzückt das »Gottlieber Krone Hotel« direkt am Seerhein, während man sich im »Gasthaus zum Gupf« in Rehetobel dem Himmel buchstäblich näher fühlt. Allein die legendäre Bordeaux- oder Burgunder-Sammlung sind überzeugende Argumente für einen Besuch. Und beim großartigen Panoramablick vom »Gupf« auf den Bodensee lässt sich erkennen, was die irischen Wandermönche – Gallus und Columban – im 7. Jahrhundert mit der »goldenen Schale« gemeint haben könnten.

Markus Curin
Autor
Monika Schallert
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