Ein Blick über die prachtvolle Altstadt Rigas voller Cafés, Restaurants, Shops und Wahrzeichen wie Dom und Schloss.

Ein Blick über die prachtvolle Altstadt Rigas voller Cafés, Restaurants, Shops und Wahrzeichen wie Dom und Schloss.
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Long Weekend in Riga

In der lettischen Hauptstadt, die auch die »Perle des Baltikums« genannt wird, hat sich eine spannende Fine-Dining-Szene entwickelt.

Mit »Vincents Restorāns« brachte Mārtiņš Rītiņš in den 1990ern exzellente Gourmetküche nach Riga. Seitdem hat sich in der lettischen Hauptstadt eine spannende Fine-Dining-Szene entwickelt. Jenseits des osteuropäischen Braten-Kraut-Klischees setzen Köche auf regionale Zutaten und schauen für Inspirationen gern nach Skandinavien – und in die Natur.

Freitag

Keine dreißig Minuten dauert die Taxifahrt vom Flughafen, da sind wir schon in der mittelalterlichen Altstadt. Weit kommen wir aber nicht, weil wir hungrig im Restaurant »Muusu« von Kaspars Jansons landen. Nach Auslandsstationen in verschiedenen Sternehäusern eröffnete der Koch sein nordisch-schickes Restaurant in Riga, wo heute unter anderem Forellen-Carpaccio mit Kapernbeerensauce und Kalbsbraten mit getrüffeltem Kartoffel­püree, Topinambur und Spargel auf dem Menü stehen.
Es ist ein erster Vorgeschmack auf die lebendige Fine-Dining-Szene der Stadt, für die Mārtiņš Rītiņš dem berühmten »Vincents Restorāns« in den postsowjetischen 90ern Gourmet-Pionierarbeit leistete. Das Klischee der bodenständigen Fleischbergküche mit Kraut und Sauce kann man daher getrost vergessen, wenn es einen nicht gerade in ein Lokal der »Lido«-Kette verschlägt. Wie im »Muusu« werden die Inspirationen inzwischen anderswo gesucht, gern in der französischen, der mediterranen und vor allem der nordischen Küche – oft mit einheimischen Produkten zubereitet.
Das »Muusu« ist ein idealer Ausgangspunkt für unseren ausgiebigen Sightseeing-Streifzug durch die eindrucksvolle Altstadt. Die Architektur ist eklektisch, von vielen Einflüssen geprägt: Zwischen Cafés, Restaurants, Shops und Wahrzeichen wie Dom und Schloss bestimmen Gotik, Klassizismus, Modernismussprengsel und Jugendstil das Bild. Letzteren finden wir in der ganzen Stadt – die meisten prachtvollen Fassaden aber in der Elisabeth- und der Albert-Straße außerhalb des Altstadtrings, wo wir im Museum dazu einen Stopp einlegen.
Ein paar Straßen weiter gelangen wir zum neuen Beer District – Lettland ist eine Biernation, und auch in Riga liegen Craft-Geschmacksexperimente im Trend. Treffpunkt für unsere Tour ist der Brauerei-Pub von Aigars Ruņģis, mit dem alles begann. Er wollte mit seinem Bier weg vom Einheitsgeschmack, gründete die »Valmiermuižas Craft Brewery« und startete den Boom. Während er auf klassische Sorten nach Reinheitsgebot setzt, probieren die Brau-Rock-’n’-Roller im benachbarten »Labietis« wildeste Ideen aus. Die Bilanz nach drei Stunden? Fünf Brauereien, zwölf Biere.

Samstag

Gleich morgens treffen wir Mārtiņš Sirmais auf dem riesigen Zentralmarkt. Der Koch aus dem Restaurant »3 Pāvaru« ist aus dem lettischen Fernsehen bekannt. Das merken wir schnell an den neugierigen Blicken anderer Marktbesucher, während er zwischen zappelnden Süßwasserfischen und Fleischtheken durch die fünf ehemaligen Zeppelin-Hangar-Hallen führt.
Er kauft Räucherfisch, eingelegtes Gemüse und Frischkäse und bereitet uns damit später im Restaurant ein Lunchpaket zu – für den anstehenden Paddelausflug. Vom Wasser aus entdecken wir im gemächlichen Tempo ganz neue Gesichter Rigas: Auf dem breiten Düna-Fluss geht es erst durch den Hafen, vorbei an hohen Kränen und großen Frachtschiffen, neben denen wir uns mikro­skopisch klein fühlen. Paddelzug für Paddelzug kajaken wir dann weiter in den Stadtkanal, der Alt- und Neustadt trennt, unter kleinen Brücken hindurch, vorbei an vielen Menschen, die im Ufergras liegen, an der Oper und dem Freiheitsdenkmal – es erinnert an die Unabhängigkeit Lettlands 1918, die in diesem Jahr groß gefeiert wird. Schließlich kommen wir wieder an der Düna heraus, auf der wir noch am Altstadtpanorama und dem imposanten Neubau der Nationalbibliothek vorbeischwappen.
Der Hunger danach wird mit einem Tisch voll hübsch angerichteter Kleinigkeiten gestillt: mit köstlichen, kalten und warmen Knapas, einer Tapas-Variante, die TV-Chef Raimonds Zommers für sein elegant-gemütliches Restaurant »Entresol« erfand. Dazu gehört die cremige Karottensuppe mit lettischer Garnelenrolle genauso wie ein Roggenbrot mit eingelegten Gurken und langsam gegartem Schweinespeck, für das er sich von den Geschmäckern seiner Kindheit inspirieren ließ. Zum Finale fahren wir in den 26. Stock des »Radisson Blu Hotels«: in die »Skyline«-Lounge mit Aussicht auf die funkelnden Lichter der Stadt. Die Cocktails dazu werden mit Black Balsam gemixt, dem lettischen Traditionslikör mit über 20 Kräutern.

Sonntag

Wir haben Glück! Zum Brunch im geschmackvollen »Biblio­tĕka No1« bekommen wir einen Tisch an einem der großen Fenster mit Blick auf den Park. Nach der Begrüßung mit einem Glas Champagner haben wir die Auswahl am üppigen Buffet voll feiner Köstlichkeiten – von Austern über Garnelenhäppchen bis zum Überfluss an kleinen Dessert-Verführungen.
Da passt es gut, dass wir mittags raus aus der Stadt fahren, in die Natur der Region Līgatne. Im Vienkoči-Park betreibt Rihards Vidzickis seinen Workshop mit kleinem Museum und schnitzt dort aus Eichen und Birken sein Holzhandwerk. Was mit Birken noch so angestellt wird, sehen wir im angrenzenden Wald: Die Bäume werden im Frühling mit Schläuchen angezapft, denn die Letten sind verrückt nach dem Birkensaft, dem eine Detox-Wirkung nachgesagt wird. Schließlich landen wir im beschaulichen Dorf Ligatne, das nach der Schließung der alten Papierfabrik auf Tourismus setzt. Außer­gewöhnlich dort sind die über 300 Höhlenkeller, die in die Berge geschlagen wurden.
Ganz in der Nähe, in seinem Kreativhaus im Wald, hat Koch Eriks Dreibants bereits etwas zu essen vorbereitet. Frisches Brot, Ziegenkäse, Rhabarber, schwarze Pfifferlinge, lettische Sprotten – all das spiegelt das Manifest wider, das der Natur-Food-Enthusiast vor einigen Jahren mit anderen Küchenchefs initiierte: zurück zu guten, natürlichen Erzeugnissen, der Verwendung regionaler Produkte und der Vernetzung einheimischer Köche.
Wir machen einen kleinen Umweg zum Ostsee-Sonnenuntergang und zur 90er-Jahre-Schaschlik-Institution »Šašliki Mangaļos«, bevor wir, zurück in Riga, auch Dreibants »Restorāns 3« ausprobieren. Natur spielt dort ebenfalls eine entscheidende Rolle: Neu nordisch, einfallsreich und ausgefallen sind die Gerichte. Roggenbrothappen mit Birkensirupcreme. Topinambur, wie früher Kartoffeln auf heißen Kohlen gegart. Und Wildfleisch mit Wacholderraucharoma zu Gelber Bete und Schoko-Pflaumen-Püree mit Johannisbeersauce. Dazu gibt es ein Pairing mit Saftkreationen, bevor die Reise hochprozentig mit den hervorragenden Cocktails in der eleganten, japanischen »Cod Robata Grill Bar« ausklingt.

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2018

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