Türkisblaues Meer, weiße Strände: Griechenland hat einiges zu bieten, nun auch kulinarisch.

Türkisblaues Meer, weiße Strände: Griechenland hat einiges zu bieten, nun auch kulinarisch.
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Griechenland – Krise? Welche Krise?

Griechenland gilt als gescheiterter Staat. Doch das spürt man kaum, wenn man die vielen neuen Lokale besucht. Köche und Besitzer beweisen gerade in der Krise enorme Kreativität.

Griechenlands Küche galt jahrzehntelang als öde. Das hat sich geändert. Ausgerechnet in der Krise steigt die Gastro-Szene wie ein Phoenix aus der Asche und wird mit Sternen gekrönt.

Griechenland ist ein arg gebeuteltes Land. Will man meinen. Und man hat nicht Unrecht mit der Meinung, denn die Krise ist hier überall zu merken, man spürt sie von der mazedonischen Grenze bis zum südlichsten Strand Kretas. Ganz Griechenland, so scheint es, ist eine einzige Sozialreportage. Und das seit bald sechs Jahren.

Doch dann trifft man in der Mitte Athens auf eine Hochzeit, auf der die Menschen ausgelassen feiern. So intensiv, als gäbe es kein Morgen. Das hat aber nichts mit der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft und des Landes zu tun, denn ausgelassen feiern ist den Griechen immer schon eigen gewesen. Auch, als fremde Mächte ihr Land beherrschten. So macht sich trotz allen Lamentierens das Gefühl breit, Griechenland kriegt die Kurve, die Griechen gehen nicht unter.  

Argyro Hiliadaki kennt die Feierlust der Griechen. Sie kennt vor allem den wohlhabenden Teil der Bevölkerung. Und der unterscheidet sich in seiner Mentalität keineswegs von den armen Leuten im Land. Hiliadaki, die in London Kunst studiert hat, gehört das derzeit angesagteste Restaurant Athens, das »Funky Gourmet«, das sich nahtlos in die Liste anderer Contemporary-Food-Lokale dieser Welt einreiht, die allesamt auf zwei Beinen stehen, die andere gezimmert haben. Das erste Bein: die Molekularküche. Das zweite Bein: die neue nordische Küche. Daraus entsteht im »Funky Gourmet« etwas an Griechenland Angelehntes – aber keine traditionelle griechische Küche, auch wenn man auf traditionelle Zutaten setzt. 

Griechenland, so hört man immer, sei ein kulinarisch armes Land. Diesen Ruf hat Hellas noch aus jener Zeit, als die ersten europäischen Touristenströme in funkelnagelneuen Boeings der damals noch jungen Charterfluggesellschaften das Land und seine Inseln heimsuchten. Das waren vor allem Leute, die davor in Italien und Südfrankreich Urlaub machten und folglich eine andere, vielfältigere und schmackhaftere Volksküche gewohnt waren als jene der Griechen. Zwar gibt es in dem Land der hunderten Küsten und tausenden Strände sehr feine und geerdete Regionalküchen, die singulär auch mit hervorragenden Speisen glänzen können, doch bleibt immer die Erinnerung hängen, dass gerade die Griechen wie kein zweites europäisches Kulturvolk in der Lage sind Fisch, Fleisch oder Gemüse entweder auf dem Grill zu Holzkohle zu verbrennen oder im Topf zu einem Brei zu verkochen. Nein: Griechische Küche war jahrzehntelang kein Grund, nach Griechenland zu fahren. Das hat sich geändert. Ausgerechnet jetzt. In der Krise.

Das »Funky Gourmet« bekam seinen zweiten Michelin-Stern, als man in Brüssel unter deutscher Führung darüber nachdachte, die Hellenen kurzfristig aus dem Euroraum zu schmeißen. Der Reservierungslage des Restaurants taten die Misstöne nur wenig an, denn das »Funky Gourmet« lebt, wie viele andere Restaurants in Athen, in erster Linie vom Tourismus. Die Gäste des »Funky Gourmet« bekommen an den nüchtern gedeckten Tischen eine Mixtur griechischer Grundzu­taten, selbstredend aus biologischem Anbau, die von den Küchenchefs Georgianna Hiliadaki und Nick Roussos zerstört und wiederaufgebaut werden. Ein Gang besteht zum Beispiel aus schlichten Koulouri-Kringeln mit gesprudelter Buttermilch aus Kreta, dazu gibt es Craft Beer. Schnecken werden nicht in Knoblauchsauce ertränkt, sondern auf dem Teller mit schwarzem Trüffel in die Unsichtbarkeit gehobelt. Und aus dem Tagesfang des Ver­trauens­fischers macht das Dream-Team der griechischen Kulinarik eine hübsch anzusehende ­Frikassee, die den Angler, der den Fisch gebracht hat, empören würde – so ein Flossentier gehört doch als Ganzes in den Ofen.

In der Weinkarte des »Funky Gourmet« steht alles Bedeutende und auch alles Experimentelle der griechischen Winzer. In Sachen Selbstbewusstsein könnte man aber noch dazulernen, denn neben den vielen griechischen Weinen werden zu den Menüs unnötigerweise auch große Italiener und Franzosen als Alternativen angeboten.

Hytra: Top-Design

Kulinarisch noch einen Tick moderner und architektonisch dramatisch aufregend ist das »Hytra«, das wie das »Funky Gourmet« nach seiner Eröffnung mitten in die griechische Misere stürzte. Doch auch das »Hytra« hat überlebt. Die Folge der Krise: Der Betrieb übersiedelte von einem Großhotel in das Onassis-Center, wo man sich in Sachen Interieur noch mehr entfalten durfte und das Restaurant so zu einem der schönsten Lokale Europas wurde. Der Küchenchef Tassos Mantis war in Sachen Anrichten wohl oft in Skandinavien, sein Essen – dem Guide Michelin ist es einen Stern wert – verlässt das Mediterrane aber nie. Die Gerichte werden – wie es heute hip ist – nur nach ihren Zutaten benannt; der Kellner muss also verraten, was Mantis aus »Spinat, Reis, Dill und Zitrone« macht. Die Antwort: eine Art Reisring, kalt und perfekt abgeschmeckt. Würde man wahrscheinlich nicht bestellen. Und das wäre ein Fehler.

Das »Hytra« eröffnete mitten in der Krisenzeit, dennoch überlebte es. Mehr noch: Heute ist es eines der schönsten Lokale Europas mit einem Michelin-Stern. 

Im »Hytra« hat die technische Küche, die auch ein bisschen Chichi braucht, Vorrang. »Herzhaft« gekocht wird hier nicht, da muss man ins »Spondi« gehen, das große, traditionelle, französisch inspirierte Luxusrestaurant Athens – ein Speisesaal der alten Eliten. Im »Hytra« hingegen wird fleißig dekonstruiert und die Tinte des Tintenfisches in eine Mayonnaise gerührt, die man entweder zum Tintenfisch selbst (mit Kartoffeln und Fenchel – diese aber in veränderter Textur) oder zu einem frischen Gartensalat bekommt. Der Braten vom mit Gras gefütterten Schwein kriegt etwas Käse untergeschoben. So ist der Käsegang auch erledigt, und man kann schnell zu den grandiosen Desserts übergehen, die ein Südfrüchtegewitter eröffnen, das man an der eleganten Bar bei kreativ gemixten Cocktails ausklingen lassen sollte. Bewegt man sich nur rund um das Onassis-Center und im »Hytra«, dann kriegt man den Eindruck, Griechenland sei reicher als die Schweiz. 
Neu und nicht zu vergessen ist die »Tudor Hall«, ein Restaurant, das moderne Küche in altenglischer Lordschaft-Einrichtung serviert. Das ist so originell, dass man einen Trend daraus machen sollte.

Doch dann gibt es ein weiteres neues Lokal in Athen, das mit der Gegenwart sogar dramatisch verbunden ist – so wie kaum ein anderes Restaurant in Europa. Das »Sumsum« ist kein Honigladen, wie der Bienengeräusch-Name erwarten ließe, sondern ein einfaches, aber hervorragendes Streetfood-Restaurant, das der syrische Flüchtling Ahmad Alraee aufgemacht hat und das gleich einschlug – man verzeihe in diesem Zusammenhang den Ausdruck – wie eine Bombe. Und das nicht aus Solidaritätsdusel, sondern einfach nur, weil Alraee den Athenern vorführt, dass sie (und wir) außer Falafel und anderen schnell verdaulichen Petitessen, kaum Speisen aus dem Nahen Osten kennen und nichts über den dortigen Umgang mit Kräutern und Gewürzen wissen. Wem ist zum Beispiel bekannt, dass man in Syrien Eier räuchert? Und weil das Fremde jetzt jeder mit Mund und Nase erfahren will, ist Ahmad Alraees kleines Lokal – das freilich in keinem Führer aufscheint – täglich voller Menschen.

Mykonos hat den Ruf einer Partyinsel. Doch abseits davon gibt es hier auch gehobene kulinarische Genüsse – allen voran im »Liasti« und »Bill & Coo«.

Griechenland ist nicht nur Athen. In Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt des Landes, beschränkt sich der kulinarische Aufbruch jedoch stark auf kleine und günstige Streetfood-Lokale für eine junge Klientel. Ist das Wort »beschränken« überhaupt angebracht? Doch, ist es. Denn sympathische Lokale wie das »Toxio-Toxio« und »Pizza Poselli« ­graben lediglich alte Rezepte aus – viele aus anderen kulinarischen Kulturen, die das weit nördlich gelegene Thessaloniki immer beeinflussten – und fertigen diese mit besseren Zutaten an. Großartig kreativ ist hier nichts. Dafür gemütlich, günstig und vor allem anarchistisch.

Wenn sich die griechische Kulinarik vor allem in Athen erneuert, was geschieht auf den Inseln? Da tut sich in Sachen Kreativität nur dort was, wo Kreative Urlaub machen – also auf Mykonos. Auf der im Sommer oft überladenen Insel beherrschen das »Liasti« und das »Bill & Coo« die gehobene Szene. Im »Liasti« spielt man mittags schon einen feinen Electrobeat, den man in Berlin nur spätnachts in den Clubs zu hören bekommt. Dazu gibt es alles, was aus dem Meer geholt werden kann – der Fischer trägt es gut sichtbar an den Gästen des Strand­lokals vorbei. Im »Bill & Coo« kocht Athinagoras Kostakos, ein junger, renommierter und sehr ernst dreinblickender Küchenchef, dem man ausschließlich biologische Zutaten von der Insel andrehen kann. Manche Gäste des dazugehörigen Luxushotels – so wird erzählt – ist das zu wenig. Doch Kostakos liegt mit dieser Küche nicht nur im Trend, sondern richtig. Alles da, was man braucht. Auf Mykonos. Und in Griechenland, das ­keine kulinarische Krise kennt. Ganz im Gegenteil. 

Aus Falstaff Magazin Nr. 08/2015

Manfred Klimek
Autor
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