Von der »Moyenne Corniche«, der mittleren Küstenstraße aus, genießt man einen prächtigen Ausblick – hier auf die Halbinsel Cap Ferrat.

Von der »Moyenne Corniche«, der mittleren Küstenstraße aus, genießt man einen prächtigen Ausblick – hier auf die Halbinsel Cap Ferrat.
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Côte d'Azur: La Grande Bleue

Kaum ein zweiter Landstrich Europas ist mit so viel Glamour und Zauber behaftet wie die französische Riviera.

Èze Village kann die Hölle sein. In den Sommermonaten, wenn sich die Touristenmassen durch die engen, alten Gassen schieben, ist die mittelalterliche Gemeinde eine echte Herausforderung.
Èze Village kann der Himmel sein. Wenn man sich nämlich trotz des Menschenauflaufs überwindet, über malerische alte Steingassen die zehn Minuten vom Ortseingang zum »Chateau de la Chèvre d’Or« hinaufzumarschieren. Man muss nicht zwingend hier wohnen, um die Vorzüge dieses Relais-Châteaux-Hotels zu genießen. Wer an der Tagesbar durchaus schon am späten Vormittag ein »p’tit verre« (Blanc oder Rosé) oder eine belebende »coupe de champagne« einnimmt, muss den Franzosen zugestehen, dass hinter ihrer Lieblingsbezeichnung fürs Mittelmeer ausnahmsweise einmal kein Pathos, sondern Realitätssinn steckt: Von diesem Traumplatz aus ist »La Grande Bleue« wirklich sehr »grande« und sehr »bleue«. Die Naturkulisse erstreckt sich von Cap-d’Ail linker Hand über das Cap Ferrat rechter Hand bis hin zum Cap d’Esterel – besser kann man sich auf französisches Riviera-Feeling kaum einstimmen.
Wer sich von diesem Anblick gar nicht lösen mag, reserviert gleich für mittags einen Tisch im Restaurant; es hält seit Jahren Zwei-Sterne-Niveau. Doch seit Küchenchef Arnaud Faye vor zwei Jahren das Sagen übernommen hat, glänzt die lebensgroße goldene Ziege, die den Gast durchs Fenster anlacht, noch prächtiger als sonst. »Ein wunderbares Talent hat hier sein Nest gebaut«, schwärmt etwa die französische Wochenzeitung »L’Express« , und weiter: »Arnaud Faye überzieht die Felle der Ziege mit neuem Gold.«
Faye, der seine Speisen wie Kunstwerke präsentiert, serviert regionale Produkte »Des Bodens«, »Aus den Fluten«, »Mit Haut«, »Mit Zucker« (wie er die vier Kategorien Gemüse, Fisch, Fleisch, Dessert bezeichnet) in sommerlich-leichter Fasson. So strikt nach Bereichen geteilt, wie es im ersten Moment anmutet, fallen seine Kreationen dann gar nicht aus. Den Spargel dünstet er im Pomelo-Saft und serviert ihn an mit Olivenholz geräuchertem Aal. Er kombiniert Kaninchen mit geräuchertem Oktopus, Sankt-Peter-Fisch mit gedämpftem Kohl, Burrata und Kaviar. Und auch wenn die Sonne noch so heiß scheint und der Appetit längst getilgt erscheint, sollte man die »Chèvre d’Or« nicht verlassen, ohne ein Dessert probiert zu haben. Denn der erst 34-jährige Patissier Julien Dugourd gilt jetzt schon als »Gigant« seines Fachs. Besonders empfehlenswert sind seine wechselnden Zitronen-Interpretationen. Manchmal formt er dabei die Früchte verblüffend echt nach und überrascht mit aufregenden Füllungen.

Von Èze ist es nur mehr ein Katzensprung nach Nizza (mehr dazu später) – wobei man aus zwei Gründen einen Zwischenstopp auf der Halbinsel Saint-Jean-Cap-Ferrat einlegen sollte. Der eine hat kulturellen Hintergrund: In der roséfarbenen Villa Ephrussi de Rothschild ließ sich einst die stets in Rosa gekleidete Baronin Béatrice Ephrussi de Rothschild ihr eigenes »vie en rose« zurechtzimmern – mit exotischem Garten, eigener Möblage für Äffchen und Vögelchen und mit fantastischen Kunstobjekten.
Das andere Motiv umweht ein Hauch von Abenteuer. Weil fast jeder exklusive Ort seine James-Bond-Ecke hat, findet man diese auch hier, nämlich im Garten des Luxushotels »Hotel Du Cap-Ferrat«. Wer zu faul ist, diesen per pedes zu durchqueren – und das sollte man an diesem Ort unbedingt sein! –, fährt in einem Lift-»Ei« aus Plexiglas den Hang hinunter zum Meer.
Der Coolness-Faktor dieser etwa dreiminütigen Fahrt ist kaum zu überbieten. Unten angekommen liegt einem der »Club Dauphin« zu Füßen, ein High-Class-Grill mit Infinity-Pool (Letzterer ist nur für Hotelgäste), der – ebenso wie das hauseigene Sternerestaurant »Le Cap« – unter der Ägide von »Chef« Yoric Tièche steht. Man sitzt auf weißen Korbstühlen an weiß gedeckten Tischen, blickt vom Türkis ins Tiefblau. Was würde da besser Glas und Teller schmücken als etwas Rosafarbenes – ein Château de Selle der Domaines Ott, Crevettes Roses, Langoustines, frisches Baguette. La Vie en Rose eben. Zeit, bitte stehenbleiben.

Kunst macht Appetit

Was den eigentlichen Zauber der Côte vor allem für Wiederkehrende ausmacht, ist diese Mischung aus Savoir-vivre und Kunst in einer weltweit einzigartigen Dichte. Kein Museum, in dessen Nähe nicht auch ein wunderbarer Platz zum Essen wäre, kein Restaurant, das nicht dazu einladen würde, davor einen Abstecher zu dieser oder jener Sehenswürdigkeit zu unternehmen: Die Besichtigung der Fondation Maeght in Saint-Paul-de-Vence ist fast immer auch mit einem Besuch im weltberühmten »Colombe d’Or« verbunden. Traditionellerweise nimmt man dort die »Hors d’Oeuvre Colombe d’Or«, die aus gut 20 verschiedenen Vorspeisen bestehen, die gegrillte Seezunge Dijonnaise und als Nachspeise die Walderdbeeren mit etwas Zitrone zu sich. Allerdings ist das »Le Tilleul« (wenn man den alten Stadtbogen passiert gleich die Straße links hinauf) mit seiner provenzalischen Karte kulinarisch fast die interessantere Adresse.
Die Gerichte sind moderner und leichter – und es erfreut mit einer schönen Auswahl an regionalen Rosé- und Weißweinen. Wer in Biot ins Musée National Fernand Legér geht, fällt anschließend fast immer auch im »Chez Odile« ein, ein gemütliches Lokal mit Terrinen, Schmorgerichten und urfranzösischen Desserts wie einer viel gelobten Crème Caramel, in dem es sich die nicht mehr ganz junge Madame Odile nicht nehmen lässt, jeden Gast persönlich zu betreuen. Oder das Musée Auguste Renoir in Cagnes-sur-Mer: Der Impressionist hat in dem Haus seine letzten Lebensjahre verbracht – wie glücklich hätte ihn wohl eine Labstelle wie das »A l’ombre du pin« gemacht, wo Sternekoch Nicolas Navarro, der unter anderem bei Jean-Francois Piège lernte und im Centre de Formation Alain Ducasse als Ausbildner fungierte, allerfeinsten Salade Niçoise, Sankt-Peter-Fisch in Safran-Sud, konfierten Fenchel, Erdäpfel und Rouille und andere Herrlichkeiten serviert. Oder das Musée Picasso im Château Grimaldi in Antibes mit seiner prachtvollen Keramik-Sammlung – sie stimmt einen perfekt auf den nächsten »Gang« ein.

Nur wenige Schritte vom einstigem Atelier des Genies entfernt liegt etwas verborgen das »Le Figuier de Saint-Esprit«. In der Küche steht Christian Morisset, er ist zugleich »Chef« und »Patissier«. Mit einem Michelin-Stern dekoriert, hat sich Morisset, dessen Markenzeichen ein auffällig gezwirbelter Schnauzbart ist, vor allem den Produkten der Region verschrieben: Muschel-Jus mit Basilikum, Taubenbrust mit Langustinen, Pavlova mit den Zitronen der Gegend.
Wer Besonderes im Sinn von Unvergesslichem erleben will, brezelt sich dazwischen so richtig auf und begibt sich ins Hotel »Eden Roc« (siehe Riviera-Nostalgie, Seite 158). Hier stand Hollywood-Beauty Nicole Kidman als Grace Kelly vor der Kamera; die deutsche Schauspielerin Veronica Ferres richtete ihre Hochzeit mit Investor Carsten Maschmeyer aus und Oscar-Koch Wolfgang Puck kommt gern her, um sich mit Frau und Söhnen an einem der glamourösesten Plätzen unter der Sonne zu entspannen. Auf der Open-Air-Dachterrasse des »Pavillon Eden Roc«, der direkt am Wasser liegt, vergolden Champagner und Cocktails den Sonnenuntergang.
Wer diesem ultimativen Luxus-Kick noch eines draufsetzen will, diniert anschließend im Stockwerk darunter – ebenfalls mit unverstelltem Blick aufs Meer. Die Kellner tragen Dinnerjacket und weiße Handschuhe. Gerichte werden flambiert (Steak Diane), auf großem Silber präsentiert (Bouillabaisse royale mit Hummer), vor den Augen des Gastes aufgeschnitten (Lammkeule in der Salzkruste). Klassische Eleganz wie aus dem Bilderbuch. Aus dem Inneren des Restaurants tönt Klaviermusik – natürlich live.

Jetset am Strand

Wir überspringen Cannes, denn es ist bei Weitem nicht der kulinarisch interessanteste Ort an der Côte. Ein Erfrischungsgetränk auf einer der Terrassen der bekannten Grand-Hotels an der Croisette (»Martinez«, »Majestic«, »Carlton«) hat Charme, wer jedoch keine speziellen Shopping-Ambitionen hat, für den bleibt Cannes im Hochsommer durchaus entbehrlich. Saint-Tropez kann das eindeutig besser mit seiner Unzahl an hippen, nicht unbedingt preisgünstigen Läden. An deren Spitze thronen die Paläste von Chanel und Dior – auffällig, aber dennoch elegant. Dior frohlockt sogar mit einem eigenen kleinen Lokal im Vorgarten (»Dior Des Lices«), in dem man Happen für den Hunger zwischendurch serviert.
Saint-Tropez ist eindeutig der Genießer-Hotspot an der französischen Riviera. In dem ehemals kleinen Fischerdorf, das sich jeden Sommer zur Weltbühne internationaler Prominenz verwandelt, befindet sich das einzige Drei-Sterne-Restaurant der gesamten Côte d’Azur – sieht man einmal von Alain Ducasses’ »Le Louis XV« in Monte Carlo ab: das »La Vague d’Or« in der traumhaften »Residence de la Pinède«, direkt am Golf von Saint-Tropez gelegen. Ausgerechnet ein Normanne exerziert hier vor, wie mediterrane Küche at its best geht: Arnaud Donckele arbeitet mit den Produkten der Produzenten und Kleinbauern aus der Region. Seine Karte versieht er mit Haltung: »Es ist wichtig zu verstehen, dass hinter jedem Produkt ein Gesicht, ein Stück Boden steht und Respekt für die harte Arbeit, die in diesem Zusammenspiel entsteht«, schreibt er einleitend. Sein oberstes Credo lautet, »dem Gast eine bleibende Erinnerung zu schenken«.
Das gelingt Donckele ganz hervorragend mit seinen poetisch formulierten Menüs (»Balade Epicurienne«, was so viel wie »Epikureische – genussvolle – Ballade« bedeutet, oder »Au Fil du Temps« – zu Deutsch: »Im Laufe der Zeit«; deren Preise liegen zwischen 295 Euro für fünf und 340 Euro für sieben Gänge. In beinahe zärtliche Beschreibungen der Gerichte legt der Meister seine ganze Dankbarkeit für die Schätze seines gesegneten Umfelds: Da findet man »Bio-Lamm aus Nibles de Provence, aufgezogen von Lucie, in zwei Gängen«, »Kalb, wie man es in der Provence liebt«, »frisch gefangene, mit Grapefruit belebte Garnelen« und »Käse aus der Gegend, den ich liebe«. Abwechslung zu diesem Hort der Superlative bieten die zwei Einsterner »L’Olivier« und »Le Belrose« und das von Alain Ducasse betreute »Rivea«, das im Jetset-Party-Hotel »Byblos« liegt. Und wer es gern auch einmal profaner hat, zieht sich tagsüber in den hinteren, ruhigen Teil des ansonsten gnadenlos touristischen »Senequier« zurück und gönnt sich ein erstklassiges Steak au poivre. 

Vermählung mit Italien

Bevor sich der Frankreich-Aufenthalt dem Ende zuneigt noch ein Stopp in Nizza. Das berühmte »Chantecler« im Hotel »Negresco« ist allein wegen seines Interieurs eine Wucht: Edle Wandvertäfelungen aus Holz, schwere Kristalllüster und alte Meister bereiten den Gast atmosphärisch auf Grandezza vor. Was dann auf den Teller kommt, hält, was die Aura zuvor – und die zwei Sterne der Michelin-Tester – versprochen haben: elegante, festliche Speisen aus dem Kanon der französischen Haute-Cuisine (Langoustines, Filet de boeuf, Gourmandise au caramel beurre salé). Ein spannendes Kontrastprogramm dazu bietet der andere Zweisterner in der fünftgrößten Stadt Frankreichs: Das Restaurant »Flaveur« zeigt sich durch und durch von moderner Seite – jung, hell, leicht, mitunter sehr originell in der Wahl der Zutaten.
Das Spannende an der Küche Nizzas ist, dass in ihr französische und italienische Einflüsse bereits stark ineinander fließen: Ravioli Niçoise (mit einer Füllung aus Kräutern und geschmortem Fleisch), Pissaladière (Zwiebelkuchen mit Sardellen) oder Petits Farcis (gefüllte Gemüse) zählen zu den typischen kulinarischen »Vermählungen« der Region. Die mit Stolz hochgehaltene »Cuisine Nis-sarde« wurde bereits zum geschützten Label hochstilisiert; die Lokale, die sie führen, findet man vor allem im alten Stadtteil – allen voran das »La Merenda«, das von Dominique Le Stanc, ehemals Küchenchef im »Negresco«, betrieben wird, das meist ziemlich überfüllte »Le Comptoir du Marché« und das »Fine Gueule«. Derart eingestimmt, ist es an der Zeit, in Richtung Italien aufzubrechen.

Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2018

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Michaela Ernst
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Chefredakteurin Falstaff Magazin
Herbert Hacker
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