Die Kurstadt Baden-Baden punktet mit einem reichen Angebot aus Kultur und Kulinarik.

Die Kurstadt Baden-Baden punktet mit einem reichen Angebot aus Kultur und Kulinarik.
© Baden-Baden Events

Baden-Baden: Genusstipps für den Neustart

Am Rande des Schwarzwalds liegt das schmucke Städtchen Baden-Baden. Hoteliers, Gastronomen und Stadtplaner bereiten sich auf die Wiedereröffnung mit einer kulinarischen und kulturellen Offensive vor.

Michael Heine, 32, hatte die Eröffnung seines ersten eigenen Restaurants perfekt geplant. Zur Jahresmitte 2019 schrieb er seinen Businessplan, im Herbst 2019 fand er die passende Immobilie, für den März vorigen Jahres hatte er die Eröffnung von »Heine’s Wine & Dine« geplant. Ein kennerhaftes Angebot an Ortsweinen wollte er mit modern-saisonaler Küche verbinden, angeboten in lässiger Atmosphäre im Ortskern Baden-Badens. Jetzt sitzt er in seinem kalten Lokal, die Heizung hat er ausgedreht, ein zurückhaltender, schlanker Mann, der sich eine mögliche Sorge über die derzeitige Lage nicht anmerken lässt. »Es war schon immer mein Traum«, sagt er.

Neueröffnung trotz Krise

Heine hat einige Jahre in England gearbeitet, im Drei-Sterne-Lokal »Waterside Inn«, und offenbar nicht nur den britischen Akzent mitgenommen, sondern auch die formvollendete Zurückhaltung. Kein Klagewort, kein Gemecker kommt über seine Lippen. Wobei er allen Grund dazu hätte. Denn natürlich ließ sich die Eröffnung im März 2020 nicht halten, wegen des ersten Lock­downs musste er sie notgedrungen auf Mai verschieben. Dann lief das Geschäft gerade an, er fand erste Stammkunden und verdiente Geld – bis ihn der zweite Lockdown im November wieder zur Vollbremsung zwang.

Getreu dem Bonmot »Never waste a good crisis« plant er derzeit aber sogar eine zweite Eröffnung: Unweit seines jetzigen Lokals will er in wenigen Wochen ein Deli eröffnen, in dem es zur Mittagspause Sandwiches und Wraps zum Mitnehmen gibt. Wenn, ja, wenn endlich der Lockdown bald vorbei wäre.

Wie ein Seufzer liegt dieser Satz über Baden-Baden. Die Geschäfte sind geschlossen, die Straßen leer. Man hört nicht das übliche Stimmengewirr, in dem sich deutsche Wörter mischen mit englischen, russischen, französischen. Die Baden-Badener haben ihre Stadt momentan für sich. Das ist neu: 2019 verzeichneten die Hoteliers mehr als eine Million Übernachtungen pro Jahr, für eine Stadt dieser Größe – gerade einmal 56.000 Einwohner hat sie – enorm viel. Der Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren – und brach im vergangenen Jahr massiv ein. Die Zahl der Übernachtungen sank um mehr als die Hälfte, die von Gästen aus dem Ausland sogar um drei Viertel.

Zwangspause bis wann?

Pandemiebedingt sind nicht nur Gastronomie und Hotellerie zur Pause gezwungen, auch das sonst so reiche kulturelle Leben der Stadt verharrt im Winterschlaf. Ob die Osterfestspiele stattfinden können, stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest, die Sommerfestspiele sollen aber schon wieder vor Publikum spielen. »Wir müssen uns so spät wie möglich und so früh wie nötig der jeweiligen pandemischen Situation anpassen und sind sehr froh, dass alle Künstlerinnen und Künstler voller Feuereifer mitziehen«, sagt der Intendant des Festspielhauses, Benedikt Stampa.

Feuereifer ist das richtige Stichwort auch für Gastronomie und Hotellerie. Das Restaurant »Nigrum«, ein beliebtes Ziel von Festspielgästen, zog kurz vor der Pandemie in neue Räumlichkeiten um. Jetzt thront es neben dem Neuen Schloss, von dem aus man einen majestätischen Blick über die Stadt hat. Doch auskosten konnte Inhaber Florian Bajraj die neue Lage nicht – stattdessen nahm er Geld in die Hand und stattete Restaurant und Bar mit neuem Mobiliar aus. Andreas Rademacher, dem zwei hübsche Hotels im Zentrum gehören, brachte im Lockdown den »Kleinen Prinzen« auf Vordermann. Sein anderes Hotel, das ebenso schöne »Belle Epoque«, strahlt ohnehin großbürgerliche Eleganz aus – und ist überraschend bezahlbar.

Mut in der Krise beweist auch Malte Kuhn, 30 Jahre alt. 2010 pachtete seine Mutter Geschäftsräume in einer beliebten Lage in der Innenstadt und richtete dort ein Kaffeehaus ein. Kuhn hatte damals gerade sein Abitur geschafft und half ihr aus, bevor er eine Lehre zum Koch unter Zwei-Sterne-Chef Martin Herrmann begann. Im Anschluss sammelte er Erfahrung unter anderen Top-Köchen, bis er im Dezember 2018 sein eigenes Restaurant eröffnete, und zwar: im Kaffeehaus seiner Mutter. Filmreif schiebt er am Abend ein Regal beiseite, das wie eine Geheimtür den Eingang zu einer versteckten Küche freigibt: »Maltes Hidden Kitchen«.

Ab 19 Uhr verwandelt sich das Kaffeehaus in ein Restaurant, hinter der Schiebetür, im fensterlosen Raum mit alten Gewölbebögen, steht Kuhn dann mit seinem Souschef und schickt ein Sechs-Gang-Menü nach dem anderen raus. 200 Teller am Abend kommen schnell zusammen. Sind die Gäste weg, steht noch der Abwasch an. Einen Spüler gibt es nicht – Kuhn muss knapp kalkulieren, um profitabel zu sein.

2019 sprach sich die Neueröffnung herum, die Tische füllten sich. 2020 schien das Jahr von Kuhn zu werden, immer öfter war »Maltes Hidden Kitchen« bis auf den letzten Platz besetzt, erzählt er. Die Pandemie wirkte wie eine Vollbremsung. Und trotzdem: Als ein benachbarter Juwelier sein Geschäft aufgab, zögerte Kuhn nicht und übernahm den Raum für sein Restaurant. Gerade laufen die Umbauarbeiten, vor wenigen Tagen wurde ein neues Fenster eingesetzt. Bei all dem hat der junge Patron seine gute Laune nicht verloren.

Erweitern oder Schliessen?

Wer flexibel reagieren kann, gewinnt der Krise sogar etwas Positives ab. Die rührigen Weinhändler Martina und Joachim Buchholz waren im vergangenen Frühjahr vor die Wahl gestellt, aufgrund des Lock­downs entweder zu schließen oder ihr Sortiment zu erweitern. Sie entschieden sich für Letzteres und stockten ihr kleines Feinkost-Sortiment mächtig auf. Nun verkaufen sie nicht mehr bloß Wein mit Schwerpunkt Italien und Portugal, sondern auch Köstlichkeiten wie Agnolotti al plin aus dem Piemont, Tartufi aus Turin sowie köstliche Käse und Salumi. Ihr Geschäft versteckt sich in einer unscheinbaren Lagerhalle in Sinzheim, kurz hinter der Stadtgrenze – ein absoluter Geheimtipp für Besucher.

Für den kleinen Ausflug dorthin eignet sich ein neuer Service von Friederike Möller perfekt. Möller, 30, hat im ersten Lock­down ihre Geschäftsidee entwickelt und bietet nun Tuk-Tuk-Touren an. Mit ihrer dreirädrigen Piaggio Ape kurvt sie unter dem Namen »Fredericas Calessina« durch die Gassen, zeigt Pärchen die Stadt und schnürt Picknickkörbe für den Weg. Die Kulinarik beherrscht sie aus dem Effeff, bis vor einem guten Jahr befuhr sie als Sous­chefin des Kreuzfahrtschiffs »AidaBlu« die Weltmeere, schipperte zwischen Seychellen, Malediven und Mittelmeer hin und her. Als der Lock­down begann, ging sie von Bord und verbrachte die Quarantäne im Elternhaus auf Rügen, das sie nicht eher verließ, bis sie ein Konzept entwickelt hatte. Man darf ihr durchaus Weitblick attestieren – ein charmanter Transport von A nach B wird im Sommer voraussichtlich stark nachgefragt.

Wenn in wenigen Wochen das Gastgewerbe wiedereröffnet, steht auch das kulturelle Leben vor einer Auferstehung. Als besonderes Highlight ist die Aktion »kunst findet stadt« geplant, die am 31. Juli starten soll. Der international bekannte Künstler Jeppe Hein wird im Kurpark einen kostenlos zugänglichen Kunst-Parcours aufbauen, darunter einen Wasserpavillon, verspiegelte Ballons und Spiegelinstallationen. Fast schon ein Coup für die Organisatoren, denn der Däne Hein war mit seinen Ausstellungen auch schon im Pariser Centre Pompidou, auf der Biennale in Venedig und im Central Park in New York zu sehen.

Für eine Erfrischung zwischendurch bietet sich ein Ausflug in Baden-Badens Stadtteil Neuweier an. Ein paar Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, nach einer kurzen Fahrt über die Schwarzwaldhochstraße, erreicht man das schmucke Dorf im Rebland. Christian Beck, 32, hat hier die lange leer stehende »Weinstube zum Engel« vor Corona kernsaniert. »Ich bin hier aufgewachsen«, sagt Beck, »der ›Engel‹ war immer eine Institution.« Neue Böden, neue Küche, die Deckenbalken sind abgeschliffen – es ist wirklich schön geworden. Schöner wäre nur noch, wenn Beck bald auch dauerhaft Gäste empfangen könnte. Nach der Eröffnung im März hatte er gerade mal zehn Tage, bevor es in den Lockdown ging. Momentan sind die Weinklimaschränke noch ausgestöpselt, doch bald wird es hier traditionelle Badener Küche geben, kombiniert mit Weinen der Region.

Die kommen zum Teil auch von seinem Nachbarn, dem Winzer Robert Schätzle, der keine fünf­hundert Meter weiter auf dem Neuweier Schloss lebt und arbeitet. Ein herrliches Anwesen, das noch dazu seit dem Sommer mit dem Restaurant »Goldenes Loch« dazugewonnen hat. Nur schade, dass momentan keine Besucher den Blick auf die gleichnamige, mit Riesling­reben bewachsene Lage werfen dürfen, die von der Abendsonne in goldenes Licht getaucht wird. Es bleibt nur die Hoffnung. Die Pläne sind fertig, Geduld und Verständnis langsam ausgereizt. Bald muss es losgehen. Alles steht bereit.

Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2021

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Philipp Elsbrock
Philipp Elsbrock
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