Arcos de la Frontera, eines der weißen Dörfer, thront majestätisch auf einem steilen Felsrücken.

Arcos de la Frontera, eines der weißen Dörfer, thront majestätisch auf einem steilen Felsrücken.
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Andalusien: Feuriger Süden Spaniens

Spaniens größte autonome Gemeinschaft blickt auf eine reiche Geschichte zurück, die sich auch in den kulinarischen Spezialitäten widerspiegelt.

Ohne einen ausgedehnten tapeo wäre ein Besuch in Sevilla unvollständig. Tapear, also von Bar zu Bar ziehen und überall ein paar Häppchen und ein Glas Bier oder Wein einnehmen – das gehört zu einem Besuch in Sevilla mindestens ebenso dazu wie die Besichtigung der Kathedrale und ihres berühmten Glockenturms Giralda. Gegessen und getrunken wird zumeist im Stehen, und bei schönem Wetter wird es auch vor den Lokalen richtig voll. In den engen Gassen im Barrio de Santa Cruz etwa gibt es dann kaum noch ein Durchkommen. Wer sich bis zur Theke durchgekämpft hat, muss sich entscheiden – das Angebot ist riesig, variiert von Lokal zu Lokal, von Tag zu Tag. Die meisten Tapas sind hausgemacht und frisch, vor allem Fisch, Meeresfrüchte, Fleisch, Gemüse und natürlich Schinken, werden fantasievoll miteinander kombiniert.
»El Rinconcillo« ist eine bei Touristen besonders beliebte Tapasbar. Sie soll die älteste in ganz Andalusien sein. Seit 1670 trinkt man hier sein Gläschen Wein, und noch immer kritzeln die Kellner die Rechnung mit Kreide auf die Holztheke. Kreide benutzt auch Sixto Tovar Gutiérrez. In seiner angesagten Bar »Espacio Eslava« im Quartier San Lorenzo schreibt er die aktuellen Angebote auf große Tafeln. Costillas de cerdo, knusprige und zugleich wunderbar zarte, in Honig gegarte Schweinerippchen sind ebenso aufgelistet wie leckere, perfekt gebratene Rotbarben aus Conil von der nahen Costa de la Luz. Riesig ist auch das Weinangebot. Fast alle Weinregionen Spaniens sind mit guten Winzern vertreten. Weil viele Weine auch offen und zu moderaten Preisen angeboten werden, kann man schön durchprobieren. Kein Wunder, dass es hier jeden Abend gerammelt voll ist und die Menschen das Gedränge gern in Kauf nehmen.
Wer es bequemer möchte, reserviert rechtzeitig im »conTenedor« und kann sich dort am Tisch bedienen lassen. Im stilvoll mit Kunstwerken und frischen Blumen dekorierten Slow-Food-Restaurant kommen frisch zubereitete Gerichte mit Zutaten aus der Region auf den Tisch. Klassiker sind Arroz crujiente con pato, Ente mit knusprigem Reis, sowie Pulpo, raffiniert mit Zitrone, Salbei und Rosmarin mariniert und anschließend perfekt gegrillt. Auch in Sachen Wein kommen die Gäste auf ihre Kosten – darunter überraschend gute Tropfen aus der Region wie die Cuvées von Tempranillo und Syrah »Pago del Zancuo« der Bodega La Margarita oder »Overo Tinto Crianza« aus der Bodega Gonzalez Palacio.

Nach dem Essen empfiehlt sich noch ein Spaziergang zur in der Dunkelheit prächtig angestrahlten Kathedrale. Die schönste Aussicht auf das Gotteshaus und über die Dächer der Stadt bietet die elegante Dachterrasse des direkt am Platz gelegenen »EME Catedral Hotels«. Bei einem Mojito – es sollen die besten der Stadt sein – kann der Abend hier stilvoll ausklingen. Die stimmungsvolle Atmosphäre lässt an ein Lied von Spaniens Popstar Miguel Bosé denken, der 1984 »El corazón que a Triana va, nunca volverá« sang – das Herz, das nach Triana geht, kehrt nie zurück.
Zu Sevilla gehören nicht nur gutes Essen und Trinken – auch der Flamenco ist in der Stadt zu Hause. Überall werben Plakate für abendliche Aufführungen. Wer eine Show mit echtem Lokalkolorit erleben will, sichert sich eine Karte im Club »Peña Torres Macarenas«. Spät, erst weit nach 22 Uhr, wird die unendliche Geschichte zwischen den Geschlechtern mit musikalisch-dramatischen Mitteln thematisiert. Männer beginnen herzergreifend mit kehligen Lauten zu singen, in der Rolle des einsamen, unverstandenen Verliebten. Dann gesellen sich die Damen zu Gitarre und Gesang, zum rhythmischen Schlagen der Absätze auf dem Parkett. Dabei beginnen die Männer auf der Bühne zu applaudieren, feuern die Tänzerinnen an, bis die Begeisterung auf das Publikum überspringt. Man kommt schnell mit Einheimischen ins Gespräch, erhält Insider-Tipps und den Rat, auch unbedingt nach Córdoba zu fahren.
Die mit etwa 330.000 Einwohnern drittgrößte Stadt Andalusiens liegt keine zwei Autostunden entfernt. »Im Mittelalter war Córdoba eine der größten Städte Europas«, erklärt Stadtführer Juan bei einem Rundgang. »Über eine halbe Million Menschen lebten damals hier. Die Stadt war zu dieser Zeit ein Schmelztiegel von Christen, Juden und Muslimen.« Davon zeugt bis heute die Mezquita. Nach der Rückeroberung Córdobas durch die Christen wurde dem prächtigen muslimischen Tempel mit seinem steinernen Säulenwald ein christliches Herz in Form einer Kathedrale eingesetzt – wohl nirgendwo sonst stehen Islam und Christentum derart dicht beieinander. Durch das Labyrinth kopfsteingepflasterter Gassen der Altstadt schieben sich tagtäglich Touristenmassen.

»Ruhiger wird es erst am Abend, wenn die Tagesbesucher abgereist sind und die Stadt wieder mehr den Einheimischen gehört«, sagt unser Guide Juan. Und er hat auch noch Tipps für uns: »Ihr müsst in Córdoba unbedingt Rabo de toro essen, ein Ragout vom Ochsenschwanz, das lange vor sich hinschmurgeln muss und eine echte Köstlichkeit ist.« Seine zweite Empfehlung heißt Paco Morales. Sein Lokal heißt »Noor« (arabisch für Licht), und dort inszeniert der Kochkünstler seine cocina andalusi. Sie basiert auf alten arabischen Rezepten aus dem 10. Jahrhundert, für die Morales auch nur Zutaten verwendet, die bereits zu dieser Zeit bekannt waren. Drei Menüfolgen stehen zur Auswahl, und Gerichte wie Seehecht mit Kurkuma und gebranntem Karfiol oder Escabeche mit Schwertmuscheln und Kalmar auf einem Bett von Artischockenpüree begeistern selbst verwöhnte Gourmets.
Nächste Station ist Granada, eine Stadt, die Besucher unweigerlich in eine Märchenwelt aus Tausendundeiner Nacht entführt. Schon das Panorama ist einmalig – hoch über der Ebene thront, eingerahmt von der Kulisse der schneebedeckten Berge der Sierra Nevada, die märchenhafte Alhambra. Die riesige Burg, Vermächtnis der goldenen Zeit Granadas, ist noch heute eines der berühmtesten Baudenkmäler der Welt. Die Besichtigung der Festungsanlage, der Gartenanlagen und des Nasridenpalasts hat Zeit bis zum nächsten Morgen. Den Abend sollte man im Albaicín verbringen, auf dem Mirador de San Nicolás, dem maurischen und ältesten Stadtviertel Granadas, wo man den Klängen der Musiker lauschen kann. Was danach ansteht, ist klar: Man sollte irgendwo einkehren. Aber wo nur? Ein Lokal reiht sich hier in der Calle Navas an das nächste.
Wer auf Nummer sicher gehen möchte, lässt sich im »La Fábula« von Ismael Delgado verwöhnen. Lammkarree mit Dill und Kichererbsen, auf der Haut gebratene Rotbarbe mit Mangold oder eine Makrele im Bananenblatt sind nur einige der beliebten Gerichte auf der Karte. Zu empfehlen sind auch die beiden Degustationsmenüs und die großartigen Desserts. Unbedingt probieren – die Lecrín-Orange mit Schokolade und Olivenöl.

Kein Granada-Besuch ohne die Alhambra, eine mittelalterliche Anlage mit Palästen, maurischem Thronsaal und Gärten.

Bei einer Rundreise durch Andalusien dürfen die berühmten weißen Dörfer nicht fehlen. Man fährt durch das Land, über erdbraune Hügel, sieht baumleere Bergkuppen – und dann plötzlich leuchtet ein strahlend weißer Fleck auf. Beim Näherkommen werden die Konturen als Ansammlungen von Häusern sichtbar.
In makellosem Weiß reflektieren sie die Sonne, verhindern so, dass sich die Räume zu Glutöfen aufheizen. Arcos de la Frontera ist ein besonders attraktives Beispiel – der Ort liegt auf einem Bergrücken hoch über dem Fluss Guadalete. Neben einem komfortablen Parador gibt es einige elegante Privatquartiere in den historischen Mauern.
Ausgeruht kann es am nächsten Morgen an die Costa del Sol gehen. Mit Malaga und Marbella gibt es dort noch zwei gas-tronomische Hochburgen zu erkunden, und auch Cádiz sowie die Sherry-Stadt Jerez de la Frontera sind weitere interessante Städte für die nächste Reise. Denn eines ist klar: Man muss einfach noch einmal wiederkommen.

Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2019

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