Tasting vom 29.04.2014
Zur Verkostung standen 59 Gutedel – bis auf einige wenige Ausnahmen alle aus dem Jahrgang 2013. Der Gutedel ist zwar ein trinkfreudiger und letztlich unkomplizierter Wein, doch bei der fachlichen Verkostung ist er dennoch anspruchsvoll: Es sind immer Nuancen, die den Unterschied machen. Das sensorische Panorama des Gutedels ist zuallererst von seinem moderaten Alkoholgehalt geprägt, typischerweise hat er zwischen 10,5 und 11,5 Volumenprozent. Spätlese-Mostgewichte erreicht der Gutedel selten und häufig nur unter dem Einfluss von Botrytis. Das überzeugt selten. Auch in den Aromen ist die Sorte zurückhaltend, ja geradezu neutral. Frische Gutedel-Trauben (in vielen frankofonen Regionen findet die dort als Chasselas bekannte Sorte ja tatsächlich als Tafeltraube Verwendung) schmecken einfach nur traubig. Das verleiht den Gutedel-Weinen eine einzigartige Fähigkeit: Sie nehmen sensibel alle externen Einflüsse auf, vom Boden über die Vergärung bis zum Ausbau. So kommen auf der neutralen Grundlage des Gutedels Terroir-Noten (beispielsweise kalkige oder pfeffrige) ebenso gut zur Geltung wie die Aromen des Ausbaus auf der Hefe. Beim markenartigen Konzept Chasslie« (»Chasselas sur lie«), das in unserer Verkostung besonders erfolgreich abschnitt, tritt zudem noch die Wirkung des biologischen Säureabbaus hinzu, der die Äpfelsäure zur milderen Milchsäure verwandelt, dabei Kohlensäure bildet und die Duftpalette um buttrige bis nussige Aromen bereichert. Allerdings kann die große Aufnahmebereitschaft des Gutedels für Fremdaromen auch ein Nachteil sein: Selbst die kleinsten Fehler zeigen sich sofort. Auch schlägt die dezente Ausprägung der Aromen schnell in Wässrigkeit um, wenn die Erträge zu hoch waren. Eine gewisse Spritzigkeit ist ein Kennzeichen fast aller Gutedel-Weine. Bei vielen technisch bereiteten Weinen wird die Kohlensäure bei der Abfüllung zugesetzt. Die Könner unter den Winzern schaffen es allerdings, den Wein beim Abzug von der Hefe und bei der Filtration so behutsam zu behandeln, dass die aus der Gärung stammende, besonders fein verteilte Kohlensäure mit in die Flasche kommt. Der Gutedel ist ein Wein, der jung getrunken werden kann. Bei Tisch ist er vielseitig: Er kann Süßwasserfische begleiten und Schwarzwälder Schinken, passt aber auch zu Geflügel und weißem Fleisch. Die 59 Gutedel verkosteten: Axel Biesler, Falstaff-Mitarbeiter, Köln; Berthold Clauß, Weingut Clauß, Nack am Hochrhein; Charles Steiner, Weingut Schernelz Village, Ligerz (Bielersee, Schweiz); Armin Sütterlin, Weingut Abril, Bischoffingen im Kaiserstuhl sowie Ulrich Sautter, Wein-Chefredakteur für Falstaff Deutschland. Notizen von Ulrich Sautter.