Forscher und Winzer Hans-Peter Schmidt in den Rebbergen von Mythopia.

Forscher und Winzer Hans-Peter Schmidt in den Rebbergen von Mythopia.
© Patrick Rey

Weingut Mythopia: Der Grenzgänger

Hans-Peter Schmidt hat auf dem Walliser Weingut Mythopia eine Utopie entworfen. Die Naturweine des Forschers gehören zu den rarsten und exklusivsten der Schweiz.

Es braucht einiges, um sich an Grenzen zu wagen und diese vielleicht sogar zu durchbrechen. Mut gehört sicherlich dazu, genauso wie Enthusiasmus und Risikobereitschaft. Man kann sich darin verlieren, braucht immer wieder einen Anker, der erdet. Hans-Peter Schmidt, Winzer auf Mythopia im Wallis hat seinen Anker gefunden und der heisst Weinbau. Schmidt ist nicht nur Winzer, sondern vielmehr Forscher, einer, von dem man getrost behaupten kann, dass er die Grenzen des Vorstellbaren überschreitet. Schmidt forscht im Bereich der Ökologie, betreut mit seinem Ithaka-Institut unter anderem Projekte in Bangladesch, Nepal und Kuba.
Es geht um Nahrungssicherung, die Bereitstellung von landwirtschaftlichen Methoden für Bauern in strukturschwachen Staaten, um das Überleben zu sichern, unabhängig von unerreichbarer Technologie und Chemie. Wein erdet ihn, wie er selbst sagt, um sich nicht in der Theorie zu verlieren. Schmidt, der ursprünglich aus Deutschland stammt, landete vor über zehn Jahren im Wallis und war auf der Suche nach einem Weg, seine Theorien in die Praxis zu übertragen, zu testen, ob die geistigen Konstrukte auch in der Realität funktionieren. Hier gab es nur Kühe und Weinbau. Kühe interessierten Schmidt nicht, Wein im Hinblick auf sein Forscherdasein umso mehr. Denn für ihn beinhaltet das Produkt die Möglichkeit Qualität zu erfassen, sei es durch Experten oder Konsumenten. Also am Ende ein Feedback zu bekommen, ob sein ökologischer Ansatz funktioniert und auch im Glas spürbar ist. So wurde Mythopia geboren, ein Weingut, das weltweit einzigartig ist. 

Biodiversität wird auf Mythopia gross geschrieben. Dazu gehören Insekten genauso wie Pflanzen. 
© Patrick Rey
Biodiversität wird auf Mythopia gross geschrieben. Dazu gehören Insekten genauso wie Pflanzen. 

Garten Eden

Auf Mythopia begann Schmidt beispielsweise mit Biokohle zu experimentieren. Einem Stoff, der durch das Verschwelen von organischem Material wie Trester oder Grünabfall unter Sauerstoffabschluss entsteht und schon vor Jahrtausenden von den Indios zur Steigerung der Bodenqualität eingesetzt wurde. Die Pflanzenkohle kann zusätzlich schädliches Kohlenstoffdioxid aus der Umgebung langfristig binden, eine wahre Wundererde also. Schmidt setzte sie im Weinberg ein, ein Schritt in Richtung klimaneutrale Landwirtschaft und ein grosser Forschungserfolg nicht nur für Hans-Peter Schmidt. Mittlerweile wird das Verfahren weltweit eingesetzt, beispielsweise in Nepal, wo Schmidts Institut nennenswerte Erntezuwächse erreichen konnte. 
Zudem entwarf er ein weltweit völlig neuartiges Konzept des Rebbergs – eines, das auf Biodiversität beruht und mit dem er viele Winzer inspirierte. Bei Schmidt geht es dabei nicht um reine Artenvielfalt, sondern um ein wahres Aufbrechen der Monokultur Rebberg. Zur Erntezeit im Sommer und Herbst könnte man wohl das halbe Dorf mit dem Obst und Gemüse, das zwischen den Rebzeilen wächst, versorgen. Als wir ihn vor ein paar Jahren besuchten, trauten wir unseren Augen kaum. Denn dort, wo eigentlich Reben in Reih und Glied stehen sollten, fand sich ein wilder Dschungel. Kopfhohes Gras, Obstbäume, Sträucher, dazwischen Rebstöcke, die man nur mit etwas Geduld erspähen konnte. Ganz nebenbei drückte er uns einen Pfirsich in die Hand, wohl der schmackhafteste, den man im Wallis findet. Schon alleine beim Anblick der intensiven Begrünung wäre so manchem Winzer die Rebschere aus der Hand gefallen, schliesslich gilt die in Winzerkreisen vielerorts immer noch als Bedrohung für den Wasserhaushalt der Rebe. Die Trauben an den Rebstöcken waren nach Lehrmeinung ein Desaster. Oidium hatte sich breitgemacht, eine Pilzkrankheit, die zu den grössten Feinden der Winzer zählt.

© Patrick Rey

Von Alarmbereitschaft war damals bei Schmidt keine Spur, auch heute ist er, wenn er davon erzählt ruhig und gelassen. «In diesem Jahr hatten wir gänzlich auf Kupfer und Schwefel verzichtet, nur ein Ferment aus Rebblättern und Milch ausgebracht, trotzdem hatte relativ viel überlebt.», erzählt er uns. Auf einer Hektare, die er gar nicht gespritzt hatte erntete er nur 400 Liter, ein einziges Fass. Eine natürliche Superselektion, wenn man so möchte, hohe Konzentration, für Schmidt hinsichtlich der Weinqualität ein Nonplusultra. Bis er den nahezu gänzlichen Verzicht auf Schutz im Rebberg übte, vergingen Jahre. Die Reben müssen sich erst darauf einstellen. Bei kleinen Parzellen, die hinzukommen, erntet er im ersten Jahr gar nichts, im zweiten Jahr etwas und ab dem dritten Jahr erinnerten sich die Pflanzen an ihr genetisches Programm, erklärt er uns. An ein und demselben Trieb fand er Trauben, die gänzlich verrottet waren, und daneben völlig intakte. Das sei auf die über Jahrtausende hinweg genetisch gespeicherten Erfahrungen der Art Vitis Vinifera zurückzuführen. 
Also alle möglichen Pilzkrankheiten und sonstigen Schadeinflüsse, der die Rebe je ausgesetzt war und die entsprechenden Bewältigungsstrategien. Daraus hat die Pflanze ein Notprogramm entwickelt, welches das Überleben sichert. Heute geht er nicht mehr so weit, übt aber nur minimalen Einfluss aus, um die Menge auf einem hohen qualitativen Niveau stabil zu halten. Die biologischen Spritzmittel Schwefel und Kupfer bringt er aus, aber weit unter der normal zulässigen Menge. 

Hoch über dem kleinen Walliser Dorf Arbaz hat Schmidt sein «Labor» eingerichtet.
© Patrick Rey
Hoch über dem kleinen Walliser Dorf Arbaz hat Schmidt sein «Labor» eingerichtet.

Wein als Erlebnis

Im Keller geht Schmidt noch weiter. Hier tut er nichts anderes als die geernteten Trauben, egal ob rot oder weiss,  in ein Fass zu füllen, es zu verschliessen und zu warten. Nicht Wochen oder Monate, sondern Jahre. Er hält sie drei Jahre unter Verschluss, beginnt erst dann die Weine zu verkosten, um zu entscheiden, wann sie abgefüllt werden können. Der gesamte Prozess findet ohne den Einsatz des klassischen Konservierungsmittels Schwefeldioxid statt. Ihre Stabilität erhalten die Weine durch den Sauerstoffeinfluss im Fass. «Die Weine sind nach diesem Reifungsprozess so stabil, dass man sie bei Zimmertemperatur rund einen Monat geöffnet aufbewahren kann, ohne dass sie sich negativ verändern», erklärt er uns. 
Es liegt auf der Hand, dass die Weine von Mythopia sich geschmacklich fernab des Mainstreams bewegen. Man kann sie in die Kategorie der Naturweine einreihen, wenn man denn eine Schublade braucht. Schmidt ist dieser Begriff nicht so wichtig, er möchte einfach aussergewöhnliche Weine herstellen. Dem Geniesser ein Erlebnis bieten. Genau deshalb seien seine Weine in der Spitzengastronomie so beliebt. Die Sommelieres im «Noma» oder «Eleven Madison Park», wo Schmidts Weine auf der Karte stehen, suchen Weine, die ein spezielles Gericht perfekt ergänzen, um ein einmaliges Geschmackserlebnis zu kreieren. Schliesslich esse man in so einem Restaurant nicht jeden Tag oder sogar nur einmal im Leben, sagt Schmidt. Auf die Weine von Mythopia müsse man sich einlassen, seinen Horizont öffnen und deshalb sei die Gastronomie der perfekte Ort. Dort ist das Personal geschult und weiss die Tropfen entsprechend zu präsentieren.

Auch Schafe lieben die mystischen Rebberge von Mythopia.
© Patrick Rey
Auch Schafe lieben die mystischen Rebberge von Mythopia.

Mythopia ist etabliert, die Weine nach kurzer Zeit ausverkauft. Das würde manch einem genügen, Schmidt jedoch ist ein rastloser Geist. Deshalb hat er sich auch schon an ein neues Projekt gewagt, dieses mal in Südspanien. An der Costa del Sol im subtropischen Klima von Malaga wird er mithelfen ein Weingut zu etablieren, das Naturweine produzieren soll. Hier ginge es vor allem um Wasser, erklärt er uns und wie man dessen Verfügbarkeit für die Rebe sichern und Bodenerosionen vermeiden kann. Einen Plan hat er bereits, Vetiver, das asiatische Süssgras soll helfen. Die ersten Pflanzversuche gibt es bereits. Begrünung in subtropischem Klima und bei sehr geringem Niederschlag? Es sieht so aus als ginge Schmidt mal wieder über die Grenzen der Vorstellung hinaus. 
ZUM «BEST OF MYTHOPIA» TASTING! 

Erschienen in
Falstaff Nr. 03/2018

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