Im Vinschgau hat man die Qual der Wahl. Aber welche Richtung man auch einschlägt, man kann nichts falsch machen. Win-win quasi. 

Im Vinschgau hat man die Qual der Wahl. Aber welche Richtung man auch einschlägt, man kann nichts falsch machen. Win-win quasi. 
© Frieder Blickle

Vinschgau: Liebe auf den zweiten Blick

Der Vinschgau gilt gemeinhin als Durchzugsgebiet und Stauregion. Welch ein Irrtum! Hier finden sich Gourmethütten, innovative Landwirte, ambitionierte Winzer und noch vieles mehr. Tipps für eine sträflich unterschätzte Region.

Fahren Sie von der Straße ab!
Zugegeben, der Erstkontakt mit dem Vinschgau kann etwas holprig sein. Äpfel- und Speck-Stände am Straßenrand, Autokolonnen und eifrige Traktorfahrer sind für viele Südtirol- oder Italienreisende die ersten Berührungspunkte mit der Region. Doch macht man aus der Not eine Tugend, fährt links oder rechts ab, entdeckt man malerische Ortschaften wie Kastelbell, Stilfs oder Glurns, herzensgute Gastgeber und eifrige Produzenten, die sich immer für interessierte -Gäste Zeit nehmen. Schon bei der ersten Abzweigung zeigen die Wegweiser zu Hütten, Wanderwegen, Höfen und Hotels – also einfach der Nase nach, es kann wirklich nichts schiefgehen.

Obligatorischer Stopp in Reschen

Der Turm, der aus dem Reschensee ragt, zählt zu Italiens am häufigsten fotografierten Motiven. 
© Frieder Blickle
Der Turm, der aus dem Reschensee ragt, zählt zu Italiens am häufigsten fotografierten Motiven. 

Gourmethütten in allen Lagen. Unseren ersten Ratschlag sollte man bereits am Reschen beherzigen, dem malerischen Nadelöhr im Drei-Länder-Eck Italien, Schweiz und Österreich. Der berühmte Turm, der aus dem Reschensee ragt, ist der Publikumsmagnet und eines der meistfotografierten Motive Italiens. Er wird aber meist nur im Vorbeifahren aufgeschnappt. Also: Stopp!

Unzählige Hütten im Vinschgau bieten herzhafte Köstlichkeiten. 
© Frieder Blickle
Unzählige Hütten im Vinschgau bieten herzhafte Köstlichkeiten. 

Denn nur allzu leicht versäumt man eine der wunderbarsten Gourmethütten der Region, wie es sie glücklicherweise noch in ganz Südtirol in allen Berghöhen zu finden gibt – die »Reschner Alm«, die auf 2000 Metern liegt. Hausgemachte Nudeln, Säfte und Marmeladen, Brot und Fleisch von den umliegenden Höfen beziehungsweise aus dem Dorf, ein unglaublicher Panoramablick auf den See und die Bergwelt, frische, raffinierte Gerichte zum Niederknien, teilweise serviert in gusseisernen Pfannen – es ist so kitschig-schön, wie es klingt. Noch dazu nach einer moderaten Wanderung (circa ein Stunde vom Ort) – oder sogar mit dem Auto erreichbar.

Wandern im Vinschgau

Die Waale im Vinschgau sind eines der ausgedehntesten Bewässerungssysteme in den Alpen.
© Frieder Blickle
Die Waale im Vinschgau sind eines der ausgedehntesten Bewässerungssysteme in den Alpen.

Verdienen Sie sich Ihre Jause! Das gehört unweigerlich zum vollendeten Vinschgau-Trip dazu – zu verlockend sind sowohl Freizeit- als auch Einkehrmöglichkeiten. Unzählige erschlossene Wanderwege, fünf Skigebiete (bis auf 3250 Meter), 74 Up- und Downhill-Touren fürs Mountainbike und die außergewöhnlichen Waalwege regen Gäste zu körperlicher Betätigung an. 
Letztere sind beeindruckende Zeugnisse historischer Wasserläufe. Folgt man ihnen, führen sie zu den schönsten Aussichtspunkten. Beeindruckende Panoramen bietet auch der Vinschger Höhenweg mit seinen stattlichen 108 Kilometern Länge. Oder man wandert zur Göflaner Alm (1826 Meter) bei Schlanders.

In Göflan wird Marmor in Zukunft wirtschaftlich eine wichtige Rolle spielen. 
© IDM Südtirol/Andree Kaiser
In Göflan wird Marmor in Zukunft wirtschaftlich eine wichtige Rolle spielen. 

Dort tummeln sich Kühe, Pferde, Schweine und Hühner zur Sommerfrische, und als langjährige »Marmoralm« mit einem dazugehörigen Steinbruch, in dem das »weiße Gold« abgebaut wird, ist die Göflaner Alm auch von Marmorstein geprägt. 
Christian, Claudia und Tanja versorgen hier oben ihre Gäste mit ’schmackiger Hausmannskost und traditionellen Gerichten, eigenem Bio-Wein und einem Schnäpschen obendrauf. »Der Marmor«, erzählt Christian stolz, »wird in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen.« Ein Museum ist nämlich in Planung, und auch die internationale Vermarktung des Marmors aus den Bergen soll ordentlich angekurbelt werden.

Innovation am Tälerhof

Am Tälerhof kommen nur die besten Früchte ins Glas. Das schmeckt man. 
© Tälerhof
Am Tälerhof kommen nur die besten Früchte ins Glas. Das schmeckt man. 

Längst haben pfiffige Landwirte und Produzenten herausgefunden, was sich aus den hochwertigen Lebensmitteln im sonnenverwöhnten Vinschgau (über 300 Sonnentage!) alles machen lässt. Shops wie der Vinschger Bauernladen am Fuße von Schloss Juval bei Naturns zeigen eindrucksvoll die gesamte Produktvielfalt. Spaß macht auch ein Besuch bei innovativen Betrieben wie dem Tälerhof der Familie Tschenett. Das dynamische Vater-Sohn-Gespann ergänzt sich wunderbar: Chutneys, Trockenfrüchte, Fruchtmus, Marmeladen und Fruchtmehl sind das Metier von Walter. Junior Lukas brachte mit seinen Apfel- und Birnenweinen (Cidre), dem ersten Apfelsherry Italiens (!) und einem neuen Markenauftritt frischen Wind in den Betrieb. Neben den 40 Apfelsorten steht aber vor allem die au-tochthone und schwierige Palabirne im Mittelpunkt, die direkt vom Baum geerntet werden muss, weil sie sich als Fallobst zu schnell verfärbt. Der Aufwand lohnt sich aber: »Die Vielfalt war schon immer unser Anliegen, der Trend zu alten Sorten kommt uns sehr entgegen. Früher war es das Korn, heute das Obst – der Vinschgau ist ein wahrer Garten Eden«, erklärt Lukas Tschenett. 

Balsam für Seele und Gaumen im Landhotel Sand

Im »Landhotel Sand« kann die Seele bei gutem Wein, tollem Essen und Wellness baumeln lassen. 
© dsmfoto.it
Im »Landhotel Sand« kann die Seele bei gutem Wein, tollem Essen und Wellness baumeln lassen. 

Kommt man mit Vinschgern ins Gespräch, thematisiert man unweigerlich auch den Tourismus. Der klassische Pauschalgast, der jahrelang mehr oder weniger anspruchslos zum Törggelen in Bussen hergekarrt wurde, stirbt aus. Neue, spezialisierte Angebote und Ideen sind gefragt. Diesen Prozess, aber auch die ersten Erfolge kann man bereits sehen. Gäste informieren sich über Qualität und Herkunft von Produkten, entdecken gerne selbstständig Orte und Wege und wollen über Frühstück/Dinner selbst entscheiden. Diese Erfahrung machte auch Familie Bernhart im »Landhotel Sand« (Kastelbell-Tschars), baute um und erweiterte das Hotel um einen neuen Holzzubau, einen Schwimmteich und einen Wellnessbereich. Zudem lässt ein gut gefüllter Weinkeller Genießerherzen höherschlagen. »Wein ist meine Leidenschaft«, deklariert sich Hausherr Karl. »Darum freut es mich, dass wir neben internationalen Topmarken auch zahlreiche Tropfen aus dem Vinschgau anbieten können. Immer mehr Weinbauern entdecken das Potenzial unseres Tals, gerade was den Blauburgunder betrifft.«

Wein aus dem Vinschgau

Wein aus dem Vinschgau steht bei Genießern hoch im Kurs. Das war längst überfällig. 
Foto beigestellt
Wein aus dem Vinschgau steht bei Genießern hoch im Kurs. Das war längst überfällig. 

Die Zeit ist aber auch reif, dass Weinanbau im Vinschgau zum Aushängeschild der Region wird. Kastelbell-Tschars, Latsch, Naturns, Partschins und Schlanders sind seit 1995 offizielle DOC-Gebiete. Bisher waren es hauptsächlich Weißweine wie Riesling, Müller-Thurgau oder die Burgundersorten, die gekeltert wurden, seit Kurzem sind es aber auch Zweigelt und Pinot Noir, die für internationales Aufsehen sorgen. Kellereien wie Castel Juval konnten bereits mit Vielfalt und Qualität punkten, es ist aber der Nachwuchs, der das gesamte Potenzial aufzeigt. Heiner Pohl vom Marinushof startete 2005 als Quereinsteiger seinen Weinbau. Einen Teil der Rebflächen übernahm er vom Elternbetrieb, investierte in weitere Böden, eine Brennerei und Ferienwohnungen, für den Weinkeller reichte es noch nicht. Das sollte bis 2015 dauern. Ob Gemischter Satz (hat Pohl beim Studium in Wien kennengelernt), Grauburgunder, Riesling, Rosé oder Blauburgunder – alle tragen seine persönliche Handschrift. »Die Weine sollen meinen Charakter, aber auch den des Tals widerspiegeln. Hier entstehen elegante, süffige, charmante Tropfen, von denen man nicht genug bekommt.«

Slow-Travel-Tipps

Regionale Küche mit Luxusprodukten bietet das »Hotel Paradies«.
© Gerhard Wolkersdorfer
Regionale Küche mit Luxusprodukten bietet das »Hotel Paradies«.

Aufregendes im Vinschgau:
Reschner Alm
Die Alm ist ein beliebtes Ausflugsziel. Die Küche bietet eine aufregende Hütten-kulinarik, die nicht nur von Wanderern gefeiert wird. Neben Selbstgemachtem wie Nudeln werden Köstlichkeiten der umliegenden Bauern und Produzenten serviert. Ein Besuch sei hiermit dringend ans Herz gelegt!

Altdorf 53, 39027 Reschen
T: +39 331 5285818 
Göflaner Alm
Seit 2014 bewirtschaftet die Familie Tappeiner im Sommer diese Alm. Die Kulinarik lässt in Sachen Herzhaftigkeit keine Wünsche offen. Die Herzlichkeit der Gastgeber ist ebenfalls legendär. Wer Lust hat, kann in luftigen Höhen am Marmor-Themenweg alles über das edle Gestein lernen. 
Göflaner Alm, 39028 Schlanders
T: +39 335 7669967
www.goeflaneralm.jimdo.com
Gasthaus Sonneck
Bodenständige Küche auf allerhöchstem Niveau, gepaart mit Weinkenntnissen, wie sie nur wahre Liebhaber erlangen, machen das Haus zu einer echten lukullischen Instanz im Vinschgau.

Allitz 11, 39023 Laas
T: +39 0473 626589
www.gasthaus-sonneck.it
Hotel Paradies
Das schicke Hotel gilt nicht nur als eine Anlaufstelle für Luxus-Urlauber, sondern ist auch für Genießer von Interesse. Mit Peter Oberrauch steht einer der besten Köche Südtirols hinter dem Herd. 

Quellenweg 12, 39021 Latsch
T: +39 0473 622225 
www.hotelparadies.com
Hotel Sand
Im »Vinum Hotel« kommt dem Wein logischerweise große Bedeutung zu. Aber auch sonst finden Urlauber hier alles, was sie für schöne Ferien brauchen. Badeteich, Wellnessbereich und eine schöne Gegend. 
Mühlweg 2, 39020 Kastelbell-Tschars
T: +39 0473 624130
www.hotel-sand.com
Marinushof
Am Hof der Familie Pohl wird ausgezeichneter Wein gemacht. Familienoberhaupt Heiner ist dafür verantwortlich. Heißer Tipp: der Gemischte Satz.

Alte Straße 9/B, Marein 39020 Kastelbell
T: +39 0473 624717
www.marinushof.it
Tee-Salon
Während es am Stadtplatz wuselt, nimmt man sich im Tee-Salon in den Glurnser Lauben gerne die Zeit für einen guten Tee aus eigenem Anbau oder eine erfrischende Kräuterlimo aus eigener Herstellung. Dazu gibt es kleine Gerichte. Perfekte Mischung aus Wiener Kaffeehaus und italienischer Trattoria.

Laubengasse 11, 39020 Glurns
T: + 39 0473 835417 
www.tee-salon.it

Aus dem Falstaff Magazin Südtirol Spezial 01/2017.

Markus Curin
Autor
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