Vietnam: Zwischen salzig, süss, scharf und sauer

Eine Spurensuche auf den überbordenden Märkten, in den Garküchen und den postkolonialen Restaurants.

Ein Esslöffel Fischsauce, ein Esslöffel Zucker, ein Esslöffel Limonensaft, ein Esslöffel Wasser. Dazu etwas fein gehackten Knoblauch und frischen, roten Chili in dünne Scheiben geschnitten – fertig ist (fast) das ganze Geheimnis der vietnamesischen Küche. Ein Zauberkonzentrat, das das ganz be­sondere Geschmackserlebnis der fern­-östlichen Esskultur ausmacht. Die wich­tigste Beilage, die tägliche Dosis Droge – ein Sublimierungsmittel.

Fischsauce in den Adern
Einmal genossen, kann man es nie mehr vergessen, will man es nicht mehr missen. Oder wie Tran Thanh Duc, Chef des beliebten Restaurants »MangoMango« in Hoi An, sagt: »In unseren Adern fliesst Fischsauce«, krempelt seinen Ärmel hoch und zeigt grinsend auf die blauen Linien, die sich auf seinem Unterarm bilden.

Aber natürlich nicht irgendeine! »Unsere stinkt nicht!«, erklärt der kosmopolitische Vietnamese, der einst wie viele »Boatpeople« das Land verliess und nach Jahren, die er in Mexiko, den USA, Europa, Kanada, Neuseeland und Australien verbrachte, wieder in die Heimat zurückgekehrt ist. 

Nun begeistert er seine Fans in der alten Handelsstadt Hoi An mit seinen Fusionfood-Kreationen, die doch eigentlich nichts anderes als erweiterte Liebeserklärungen an die Genüsse seiner Kindheit sind. Zu denen serviert er natürlich seine immer mal wieder variierende Fischsauce, die ihre Basis aus schwarzen Anchovis bezieht und so nur in Vietnam hergestellt wird. »Darauf müssen Sie achten, wenn Sie welche kaufen«, sagt der Mann mit den lachenden Augen und dem schwarzen Pferdeschwanz im Nacken. »Die thailändische Fischsauce besteht aus so vielen verschiedenen Fischabfällen, deshalb stinkt die auch so!« In seinem Restaurant »MangoMango« kommt die Sauce fast unscheinbar in kleinen Schälchen auf die roten Lacktische, auf denen gelbe Fische schwimmen. Dabei ist sie doch von so ungeheurer Bedeutung in der vietnamesischen Küche, die sich im Koordinatensystem von süss, salzig, scharf und sauer bewegt und in erster Linie immer frisch und leicht schmeckt.

Frisches Gemüse findet man auf den zahlreichen Märkten Vietnams, hier etwa in Hoi An / © Brigitte Jurczyk

Überraschungen an jeder Ecke
Nach einem Tag am kilometerlangen Sandstrand, an dem Palmen sanften Schatten spenden, in einem der vielen modernen Beachresorts, die hier zwischen Da Nang und Hoi An so ziemlich in der Mitte Vietnams in den vergangenen Jahren entstanden sind, nach dem Sonnenbaden in den Wohlfühloasen mit riesigen Swimmingpools, Meeranschluss und All-inclusive-Spas – da kommen die Touristen in Scharen in die Altstadtstrassen von Hoi An, shoppen in den trendigen Boutiquen, die sich in den jahrhundertealten Häuser eingenistet haben, und lassen sich bis zum nächsten Tag einen Anzug oder ein Kostüm massschneidern.

Und sie kosten Frühlingsrollen, diese mal knusprig gerösteten, mal in weiches Reispapier gewickelten »Überraschungstüten«, in denen Shrimps, Schweine- oder Hühnchenfleisch, immer aber Frühlingszwiebeln und frische Kräuter wie Minze und Thaibasilikum stecken (das man hier natürlich Vietnamesisches Basilikum nennt). Und die, bevor man sie sich genüsslich in den Mund schiebt, nochmal kurz in die aromatische Fischsauce gedippt werden, die wie ein Geschmacksverstärker funktioniert. Sie essen Reis mit Huhn und Zwiebeln, eine Pho Bo, diese heisse Hühner- oder Rindfleischsuppe, die selbst bei 38 Grad in Schatten noch wunderbar schmeckt, oder Mi Quang – extrabreite Reisnudeln von gummiartiger Konsistenz, für die die Region berühmt ist. Einen extraschönen Platz unter mit Lampions geschmückten Bäumen finden sie im »Viettown«, wo sie ein eisgekühltes lokales Bier zu frittierten Reisomelettes geniessen. In den angrenzenden Gebäuden machen sich derweil Seidenraupen über Maulbeerblätter her und produzieren Kokons, die später die begehrten Seidenfäden produzieren, die zu Stoffen verwebt und zu bunten Kleidern genäht werden.

Hoi An ist für seine Lampionmacher berühmt. Nachts verwandeln die bunten Leuchten das Städtchen in ein Lichtermeer / © Brigitte Jurczyk

Einfach gut
Miss Ly, klein und zierlich, lehnt lässig im Türrahmen des nach ihr benannten Restaurants in der Nguyen Hue Street. Gerade ist sie aus ihrer Küche gekommen, über der ein Buddha-Altar mit künstlichen Kerzenlämpchen blinkt. Hinter ihr sitzen die Gäste eng an eng in dem alten Haus, in dem schon ihre Mutter geboren wurde. Als die heute 46-Jährige hier vor 21 Jahren begann, ihr Publikum mit einfacher, aber grossartig zubereiteter Vietnamkost zu verwöhnen, gab es in der historischen Hafenstadt Hoi An gerade mal ein kleines Hotel mit acht Zimmern. »Touristen konnte man noch an einer Hand abzählen«, sagt Ly. Der Vietnamkrieg war ja damals gerade erst 18 Jahre vorbei und Dà Nang, der nächste grössere Ort, eher als einer der wichtigsten Luftwaffenstützpunkte der Amerikaner, denn für seine Vergnügungs­viertel bekannt.

Miss Ly hat mit ihrem Investment in die Zukunft recht behalten, heute blüht die von Chinesen, Indern und Europäern geprägte Altstadt von Hoi An, und ihr Familienrestaurant ist ständig bis auf den letzten Platz mit internationalem Publikum besetzt. Auch ihre Mutter steht noch täglich in der Küche, und eine Schwester besorgt das frische Gemüse von den lokalen Bauern. Und ihr Mann Nathan, ein US-Amerikaner, sorgt für den freundlichen Empfang. Was darf man hier auf keinen Fall verpassen? Miss Ly: »Hoi Ans Spezialitäten wie Mi Cao Lau – dicke Nudeln mit Streifen von geröstetem Schweinefleisch und Kräutern.« Aber auch die hübsch anzusehenden White Roses: gedämpfte Reis-Dumplings mit Shrimps und gerösteten Zwiebeln mit Limonen- und Chili-Aroma. Und die gebackenen Wontons mit Fleisch, Shrimps, Tomaten und Zwiebelfüllung, die sie hier Hoanh Thanh Chien nennen.

Genießen unter Palmen und Lampions: Im Top-Hotel »The Nam Hai« bilden Strand und Design eine grandiose Einheit / © Brigitte Jurczyk
Geniessen unter Palmen und Lampions: Im Top-Hotel »The Nam Hai« bilden Strand und Design eine grandiose Einheit / © Brigitte Jurczyk

Bunte Vielfalt
Die besten Zutaten für die Genusswelt Vietnams findet man zweifellos auf den Märkten des Landes, das sich von Hanoi im Norden bis nach Ho Chi Minh City (Saigon) und weiter südlich über lange 1650 Kilometer erstreckt. Das weiss auch Soren Lascelles, der Küchenchef aus Sydney, der diesen Foodkosmos liebt, dessen Ausdehnungen nur der versteht, der sich auf die ungeheure Vielfalt einlässt. Mit ihm über den Ben-Thanh-Markt im ersten Distrikt von Saigon zu schlendern ist ein grosses Vergnügen, denn der Mann versteht etwas von Qualität und Frische. An einem Stand hängen gerupfte Hühner mit Kopf und Krallen, an einem anderen stapelt sich Taro, eine kartoffelähnliche Wurzel, zu ansehnlichen Bergen. Lange Gänge voll duftet es nach Minze, Frühlingszwiebeln, Knoblauch, Ingwer und Vietnambasilikum. Dazu verbreiten die kleinen Garküchen ihre appetitanregenden Gerüche. Das, was Soren Lascelles hier einkauft, ist für seine private Küche bestimmt. Die Zutaten, die er für sein Restaurant »Square One« im noblen »Park Hyatt Hotel« schräg gegenüber der strahlenden Oper von Saigon benötigt, lässt er sich liefern. Neben lokalem Gemüse ist da auch neuseeländisches Lamm oder erstklassige Steak-Ware aus den Staaten dabei. »Da setze ich auf gleichbleibende Qualität«, verrät der 34-Jährige.

Er hat sich einen vietnamesischen Koch als Souschef an seine Seite geholt. Zusammen mit ihm versucht er, der vietnamesischen Küche einen kleinen Kick in Richtung Moderne zu geben. Und so schmeckt der Salat aus grünen Mangos, Tintenfisch und Sesam ein wenig frischer als das Original. Und der Schwarze Zackenbarsch kommt im Ganzen gedämpft in einer ausgesprochen ausbalancierten Sauce, der grüner Pfeffer eine hocharomatische Schärfe verleiht.

Land mit vielen Facetten

Der moderne Touch passt zu einer Stadt, die schon immer etwas jünger, hipper, moderner und vor allem internationaler war als der Rest des Landes. Der Charme der alten Kolonialbauten aus der Zeit, als die Franzosen hier noch das Sagen hatten, paart sich mit Shoppingmalls, Nobelboutiquen und Wolkenkratzern, die am Abendhimmel funkeln, und zeigt sich am Morgen nach einer durchtanzten Nacht, wenn man den träge fliessenden Saigon-Fluss entlangschlendert. Nichts mehr verrät hier die Dramatik, als Ende April 1975 die Truppen Nordvietnams die Stadt einnahmen und Amerikaner und Südvietnamesen Hals über Kopf flüchten mussten.

Viele hundert Kilometer nördlich dann das Kontastprogramm: Kleine Plastikhocker überziehen die Gehwege Hanois. Wie für Kinder gemacht, fast immer himmelblau, manchmal in verblichenem Rot. Dazu niedrige Tischchen, kaum grösser als ein Schachbrett. Hin und wieder liegt ein bunt geblümtes Wachstuch darüber. Weit ragen die Wellblechdächer über die Gehsteige. Sie schützen gegen die Regenschauer, die sich im Sommer sturzbachartig aus dem Himmel ergiessen und die Strassen in reissende Bäche verwandeln.

Mekka für Garküchen
Manchmal reicht schon ein gebleichter Sonnenschirm, unter dem sich eine Runde Hockender versammelt. In der Mitte eine mobile Feuerstelle, mit zwei Rädern und Handgriff ausgestattet, die mitten auf dem Bürgersteig oder einem freien Platz aufgebaut wird. Morgens früh nehmen dort ganze Familien auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule Platz und schlürfen ihre Pho Bo, die traditionelle Hühnersuppe mit Reisnudeln, die mit Stäbchen aus der Brühe geangelt werden. Restaurants gibt es auch in der nordvietnamesischen Millionenstadt, aber eindeutig beliebter sind die Garküchen, die jeweils nur ein Gericht servieren, zubereitet auf der Strasse oder in einer kleinen Einfahrt, einer Art Garage oder einem Hauseingang - nicht weniger köstlich, immer sehr traditionell und mit viel Liebe gemacht. Echtes Streetfood eben. Und auch hier darf die Fischsauce auf gar keinen Fall fehlen.

>> VIETNAM: Tipps & Adressen

Text Brigitte Jurczyk
Aus Falstaff Nr. 05/2014 bzw.Falstaff Deutschland Nr. 05/2014

Brigitte Jurczyk
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