Linda Hüsser (l.) und Meret Diener am Tresen ihres Lokals «Zur Goldigen Guttere» am Brupbacherplatz in Zürich.

Linda Hüsser (l.) und Meret Diener am Tresen ihres Lokals «Zur Goldigen Guttere» am Brupbacherplatz in Zürich.
© Manfred Klimek

Vier goldige Hände: Linda Hüsser und Meret Diener von der «Goldige Guttere»

Linda Hüsser und Meret Diener leiten das Restaurant «Zur Goldige Guttere» am Zürcher Brupbacherplatz. Und sie erzählen ihre Geschichte von einem unbeschwerten, aber selbstgewissen Aufbruch in die Gastronomie ihrer Generation. Es ist auch die Geschichte einer gastronomischen Zeitenwende.

Der Brupbacherplatz ist ein Hotstpot der hippen Zürcher Gastronomie – die «Bar Sacchi» und das «Raygrodski» befinden sich ebenso in der Umgebung wie die «Gelateria di Berna», wo die Zürcher für ein Eis das Anstehen in einer langen Schlange in Kauf nehmen. Linda Hüsser und Meret Diener, beide gerade 28 geworden, sitzen vor ihrem Lokal «Zur Goldige Guttere» am Rande des Platzes. In zwei Stunden werden sie aufsperren. Im kleinen Gastraum arbeitet ihr Team an den Vorbereitungen, die letzten Lieferanten liefern, und die Flaneure des späten Nachmittags halten Ausschau, wo sie ihren ersten Drinks kippen können.

Es hat eine gute, gelassene Stimmung hier, wo die Welt der Banken nahe und doch Hunderte Kilometer weit weg ist. Zwei Frauen, die schnell und eloquent sprechen und die Dinge auch präzise auf den Punkt bringen. Es liegt nahe, Linda und Meret hier mit einer Stimme sprechen zu lassen.

Ganz klassisch: Das Dessert wird vom Wagen direkt am Tisch serviert. Ein Schnäpschen dazu darf natürlich auch nicht fehlen.
© Manfred Klimek
Ganz klassisch: Das Dessert wird vom Wagen direkt am Tisch serviert. Ein Schnäpschen dazu darf natürlich auch nicht fehlen.

FALSTAFF: Zwei junge Frauen, beide gerade erst 28 geworden. Wie kam es zu euch und der «Goldigen Guttere»?
Linda und Meret:
Meret hatte einen Job in der Gastro, ich war in der Werbung, aber wir wollten schon länger etwas gemeinsam machen. Dann kamen das Virus und der Lockdown, und wir hatten auf einmal Zeit, über unsere Zukunft nachzudenken. Geld hatten wir keines, wir wollten auch keinen Kredit aufnehmen. Und so haben wir uns entschlossen, erstmal klein anzufangen und inmitten der Lockdowns eine Art Take-away aufzuziehen, auf der Langstrasse in Zürich, in der «Olé Olé Bar», die wie fast alle Gastronomiebetriebe geschlossen halten musste. So sind wir auf die Grilled-Cheese-Sandwiches gekommen, «Iklämmt» genannt, was «eingeklemmt» heißt und Sandwich auf Schweizerdeutsch.

Unser Konzept war simpel: eigenes, besseres Brot, besserer lokaler Käse mit verschiedenen Salsas und Chutneys, die wir eingelegt hatten. Viel Kreativität und quasi null Investment. Am 12. Januar 2021 haben wir begonnen. Eine Woche später wurden wir dann dank Mundpropaganda und dem überraschenden Medieninteresse sozusagen zu einem Ausflugsziel. Wir dachten schon, dass wir vieles richtig machen und auch die Zeit dafür die richtige ist.

Der Hype kam dann aber unerwartet. So entstand ein neues Netzwerk, wir lernten viele neue Leute kennen und kriegten auch Selbstvertrauen, dass wir Gastronomie können. Nach den Grilled-Cheese-Sandwiches haben wir quasi um die Ecke noch eine Frittenbude aufgemacht, «Atomic Fritten», die auch einen guten Lauf hatte. Wir wissen jetzt, wie wir die besten Pommes machen, aber das war dann schon ein strenger Geruch an Kleidung, Haut und Haaren am Abend. Noch mal machen wir das nicht.

Während Linda und Meret erzählen, ziehen grimmige Wolken auf, was für die Leute vom Lokal bedeutet, dass sie auch die Plätze im Gastraum eindecken müssen, falls ein Regensturm die vierzig Gäste aus dem hübschen Gastgarten vertreibt.
Wir sitzen hier vor dem «Santo», einem ehemaligen Italiener. Der Besitzer wollte das Lokal nicht mehr in dieser Art weiterbetreiben. Wir haben dann alles so gelassen, wie es war, einmal kräftig durchgeputzt, einen neuen Ofen gekauft und die Tischplatten ausgetauscht. Linda wollte spiegelnde Tischplatten, weil das dem Lokal jenen Punkt individuelle Moderne gibt, den es vorher nicht hatte.

Die «Guttere» ist super gelegen, in einer super Gegend, wir haben einen super Deal und sind dankbar, dass da jemand war, der eben auch Leuten helfen wollte, die keine halbe Million ankarren können. Jetzt haben wir einen Vertrag bis Oktober 2023 und rechnen damit, dass der auch verlängert wird. Mit dem Verdienst der beiden Projekte, der Sandwiches und der Pommesbude konnten wir die Eröffnung gut stemmen. Alles hier, alles, was wir tun, ist bestimmt von einem organischen Wachsen, ist selfmade, keine Bank dahinter, die Kredite geben muss.

Ein BLT (Bacon-Lettuce-Tomato) im «Guttere-Style». Der grosse, luftige Toast erinnert an die Anfänge der beiden Betreiberinnen. Während des Lockdowns boten sie Grilled-Cheese-Sandwiches an der Langstrasse an.
© Manfred Klimek
Ein BLT (Bacon-Lettuce-Tomato) im «Guttere-Style». Der grosse, luftige Toast erinnert an die Anfänge der beiden Betreiberinnen. Während des Lockdowns boten sie Grilled-Cheese-Sandwiches an der Langstrasse an.

Ihr geht miteinander um wie ein altes, ­eingespieltes Paar. Wo habt ihr euch ­kennengelernt?
Das war in Lausanne in der École hôtelière de Lausanne, einer der bekanntesten Hotelfachschulen in Europa, wo man tatsächlich mehr lernt als nur Hotel und Gastro. Man lernt auch das Vermarkten, das Zwischenmenschliche und all die Soft Skills, auf die es ankommt, wenn du einen Betrieb auf­machen und leiten willst. In Lausanne wird generell viel Teamarbeit gemacht, und wir haben eigentlich gleich immer gemeinsam ein Team gebildet.

Wir denken gleich, und dann doch gut anders. Linda ist voll die Ästhetin, die Expertin für Social Media und auch und vor allem die Kreative und die Köchin. Meret rechnet wahrscheinlich besser und hat mehr Fronterfahrung als Gastgeberin und Servicekraft. Wir sind beide gut im Organisieren, wobei Linda noch einen Tick durchgeplanter ist.

Und doch ist Kochen und eine Wirtschaft Leiten etwas, das eine gewisse Hingabe verlangt. War diese Hingabe, das Wollen, eine Beiz aufzumachen, immer da?
Linda hat in der Schule schon viel gekocht, hat Dinnerpartys geschmissen, Praktika gemacht und viel über Kochen gelesen. Und die beiden Pop-up-Projekte während der Lockdowns waren dann die ersten Versuche der Selbstständigkeit. Aber natürlich ist es ein großer Schritt von «Ich koche für zehn Freunde» oder «Ich grille täglich hundert Take-away-Sandwiches» hin zu vierzig Menüs täglich. Wir sind dann beide ins kalte Wasser gesprungen, weil es auch nicht anders geht.

Und wir haben ein echt super Team. Eine Kraft kommt schon am Vormittag und bereitet vor, und dann übernehmen abends zwei Personen in der Küche. Es gibt in der «Guttere» auch nur ein Menü, eine Tavolata, sieben Gerichte in drei Gängen. Wir wollen viele Sachen auf dem Tisch stehen haben, gutes Essen, das man zusammen essen kann. Die Leute, die herkommen schätzen genau das.

«Guttere», das ist ein Schweizer Wort, das selbst viele Schweizer nicht kennen. Was bedeutet «Guttere»?
«Guttere» ist ein Schweizer Begriff für eine Flasche, den der beste Freund von Merets Bruder beim Kirschenpflücken im Fricktal einwarf. Wir wollten ein Lokal, das das Flair einer alten Wirtschaft hat, da passte das aus der Zeit gefallene Wort sehr gut, und Schweizerdeutsch sollte der Name sein. Das mit «goldig» geisterte schon länger in unseren Köpfen rum. Und das passte auch irgendwie, weil es positiv besetzt ist. Jetzt klingt es nach einer alten Traditionsbeiz. Das gefällt uns.

Eure Tavolata ist, sagen wir mal, sehr eigen. Wir lesen da viel Einflüsse der Nordic _Cuisine raus. Und auch eine neue gastronomische Ethik, die ja jetzt überall Platz zu greifen scheint. Erklärt doch, wie ihr auf euren Küchenstil gekommen seid.
Ui, Ethik, das klingt nach ein bisschen viel. So bedeutend sehen wir das eigentlich gar nicht. Doch uns ist wichtig, nur – ausgenommen Kaffee und Gewürze – mit Schweizer Produkten zu arbeiten. Und nur mit Produkten der Saison. Das geht im späten Frühjahr, im Sommer und im frühen Herbst ganz gut, in den anderen Monaten greifen wir auf Eingelegtes zurück wie Tomaten, Aprikosen, Möhren, Rüben, ­Kirschen, Sugos und anderes. Wir wollen immer Produkte wählen, die sinnvoll sind. Und wir verwenden quasi kein Fleisch.

Mit dem Wort «nachhaltig» tun wir uns schwer. «Zeitgemäß» klingt da besser. Wir wollen keine Dogmen, doch es ist uns wichtig, verantwortungsvoll arbeitende Schweizer Produzenten zu fördern. Fixe Beziehungen zu gewissen Lieferanten sind wichtig, kleine Produzenten, auch für Linsen, Ziegenkäse und sogar Safran, den wir aus dem Aargau holen. Das alles kostet halt einfach mehr als Importware. Doch wir wollen ­diese lokale Ökonomie unterstützen. Und natürlich fahren wir auch selber aufs Land und schauen, was wir von dort holen können. Unsere Kirschen kommen aus dem Fricktal, wo wir selber hin pflücken fahren.

Klar profitieren wir sicher auch vom Hype auf Food und lokalen Zutaten. Du musst halt recherchieren, was es alles gibt. Und dann hört man auch von anderen Produzenten. Es hat eine Vielfalt hier in der Schweiz, die die meisten gar nicht kennen.»

Ist das ein neuer, positiver, Schweizer Food-Patriotismus?
Hmmm (langes Nachdenken) … als Patriotismus würde wir es nicht sehen, sondern den Sinn dahinter, woher ein Produkt kommt und wie es hergestellt und angebaut wird.

Wenig Fleisch, das heißt nicht kein Fleisch. Ihr seid also nicht vegan, oder?
Wie wir schon vorher sagten, mögen wir kein Dogmen. Wir essen selber Fleisch, haben hier sogar mal ein ganzes Wildschwein verarbeitet. Außerdem kochen wir mit Butter und in der aktuellen Tavolata hat es auch ein Gericht mit Speck. Wir schauen überall sehr genau hin. Auch bei Wein oder Schnaps. Transparenz ist uns wichtig. Und nicht vergessen: Gastronomie hat immer was Verschwenderisches, und das ist gut so. Das Verschwenderische lässt sich aber auch leicht mit anderen Produkten herstellen.


Erschienen in
Food Zurich Spezial 2022

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Manfred Klimek
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