Merlot gedeiht im Tessin besonders gut und macht in seiner Höchstform Gewächsen aus dem Bordeaux Konkurrenz.

Merlot gedeiht im Tessin besonders gut und macht in seiner Höchstform Gewächsen aus dem Bordeaux Konkurrenz.
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Tessin: Beyond Merlot

Der Merlot und das Tessin, das ist eine wahre Erfolgsgeschichte. Die Edelsorte aus Bordeaux bringt hier Weine hervor, die Weinliebhaber zum Frohlocken bringen. Aber wie steht es um andere rote Sorten?

Nachdem die Plagen über das Tessiner Rebland hinweggefegt waren, folgte die Sanierung. Es waren der Falsche Mehltau (Peronospora), Oidium (Echter Mehltau) und letztendlich die Reblaus, die den Tessiner Rebbau Ende des 19. Jahrhunderts in die Knie zwangen. Wie überall sonst auf der Welt lag die Lösung im Kampf gegen die Reblaus in amerikanischen Unterlagsreben, die resistent gegen den Schädling sind, und in der Aufpropfung europäischer Edelsorten. Agronom Alderige Fantuzzi, später Leiter des L’istituto agrario cantonale di Mezzana, brachte die ersten Merlot-Stöcke ins Tessin und kelterte im Jahr 1906 den ersten Wein daraus. Die Ergebnisse waren vielversprechend und zugleich der Start für den unaufhaltsamen Aufstieg der Sorte, die heute knapp 80 Prozent der gesamten Rebfläche des südlichsten Kantons unseres Landes ausmacht.
«Merlot, Merlot, Merlot, das ist unser Schicksal», sagt Enrico Grisetti, Verkaufsleiter des Tessiner Weinproduzenten Delea, mit einem lauten Lachen bei unserem Besuch. Seiner Erfahrung nach verlangen vor allem die Touristen aus der Deutschschweiz explizit nach Merlot, egal ob rot oder weiss gekeltert. Merlot ist die Königin des Tessin. In günstigen Lagen und bei versierter Weinbereitung sind die Weine aus der Bordelaiser Rebsorte sogar eine echte Konkurrenz für die grossen Tropfen aus dem Bordeaux. Doch auch wenn Merlot die dominierende Kraft im Tessin ist, werden hier ebenfalls andere vielversprechende Sorten angebaut. Bei Delea sind es unter anderem Cabernet Franc und Syrah, die aus Sicht von Grisetti interessante Weine hervorbringen. In den Jahren 2003 und 2005 waren sie dank der heissen Temperaturen aussergewöhnlich gut, genauso im Jahr 2009, berichtet er. «Reinsortig sind diese Weine aber zu schwer zu verkaufen», sagt Grisetti. Deshalb werden die Sorten bei Delea vor allem als Ergänzung zum Merlot in Assemblagen eingesetzt. Und da helfen sie mit ihren spezifischen Eigenarten, dem Wein beispielsweise mehr Säure und Komplexität zu verleihen. Delea macht sich sogar die Sorte Uva Americana zunutze, die im Tessin zwar eine lange Historie hat, wegen ihres berüchtigten Fox-Tons aber nur selten bei der Qualitätsweinproduktion eingesetzt wird. Der Fox-Ton der Hybridrebe bezeichnet ein sehr starkes, überbordendes Erdbeeraroma. Deshalb wird die Uva Americana seit jeher bei der Grappaproduktion eingesetzt. Auch in Form eines spritzigen, sprudelnden Schaumweins wie dem Fragolino von Delea macht sie durchaus Sinn und kommt gut an.

Grande Nebbiolo

Enrico Trapletti vom gleichnamigen Weingut im Mendrisotto ist sich sicher, dass Merlot weiterhin die wichtigste Rolle im Tessin spielen wird. Er geht jedoch so weit, die Frage nach der Zukunft zu stellen, speziell im Hinblick auf die steigenden Temperaturen und klimatischen Veränderungen in der Region. «Ich habe früh begonnen, unterschiedlichste Rebsorten anzupflanzen. Cabernet Franc, Gamaret, Diolinoir und Nebbiolo, um nur einige zu nennen. Welche der vielen Sorten sich hier im Tessin am wohlsten fühlt, kann ich jedoch erst in etwa zwanzig Jahren beurteilen», berichtet Trapletti. Er war der erste Tessiner Winzer und lange der Einzige, der Nebbiolo aus dem benachbarten Piemont anpflanzte. Für ihn eine historische Schuldigkeit. «Nebbiolo war vor einigen hundert Jahren weit verbreitet im Tessin, musste dann aber dem Merlot weichen», berichtet er. Dabei seien die klimatischen Bedingungen im Mendrisotto, das knapp 50 Kilometer Luftlinie vom Piemont entfernt liegt, sehr ähnlich. Er pflanzte den Nebbiolo vor allem wegen seiner höheren Säure an, um seine Merlots komplexer zu gestalten. Heute baut er ihn auch reinsortig aus und ist mit diesem Wein sogar Teil der Schatzkammer des Schweizer Weins, der Mémoire des Vins Suisses. Sein Erfolg brachte andere Winzer dazu, mit der Rebsorte zu experimentieren, und so gibt es nach Traplettis Aussage heute etwa neun andere Winzer, die Nebbiolo anbauen. Er spürt, dass vor allem die Traubenproduzenten sehr offen für andere Sorten sind und auch die grossen Produzenten der Region immer öfter bei ihm anklopfen, um anderes als Merlot zu kaufen. Wohin die Zukunft führt. weiss er nicht, er fühlt sich jedoch dafür gerüstet.

Das Beste vom Besten

«Merlot wird für die nächsten 15 bis 20 Jahre sicher die Hauptrebsorte im Tessin bleiben. Und das zu Recht», findet Meinrad Perler von Agriloro. Perler ist nicht nur Winzer, sondern kann getrost auch als Rebforscher bezeichnet werden. Er besitzt einen Sortengarten mit knapp 300 Sorten und testet sie dort auf die Anforderungen im Tessin – und zwar seit einigen Jahrzehnten. Ist eine Sorte hinsichtlich Boden, Klima, Blüte, Reife und Krankheitswiderstandsfähigkeit mindestens genauso gut wie Merlot, wird sie vermehrt. Die Klimaveränderung macht sich seiner Ansicht nach in den letzten zehn Jahren vor allem in erhöhten Zuckergehalten bemerkbar. Zwar reifen Rebsorten wie Tannat, den er auch anbaut, besser aus, die Merlots werden aber immer üppiger. Eine Entwicklung, die Perler vor allem wegen der besseren Gerbstoffreife positiv sieht. Er selbst ist kein Fan zu grosser Alkoholkonzentration, sondern sucht in seinen Weinen vor allem eines: Balance. Auch deshalb ist es ihm ein Anliegen, die unterschiedlichen Rebsorten im Tessin über lange Zeit hinweg zu beobachten, herauszufinden, welche davon Potenzial für die Zukunft besitzen. Einer der legendären Weine seines Weinguts Tenimento dell’Ör ist der Sottobosco, eine Assemblage aus Merlot, Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Petit Verdot.
«Ein Pomerol aus dem Tessin», sagt Perler. Die erste Abfüllung der Assemblage fand im Jahr 1994 statt – damals waren es 2000 Flaschen. Heute produziert Perler knapp 47'000 davon. «Petit Verdot bringt hier sehr schöne Weine hervor, vor allem in südlichen Lagen, aber reinsortig könnten wir es nicht abfüllen. Als Teil von Assemblagen macht es aber durchaus Sinn», erklärt Perler. Vielleicht kommt aber irgendwann die Zeit, in der Rebsorten neben dem Merlot eine bedeutendere Rolle spielen und womöglich sogar auf Augenhöhe mit ihm stehen werden. Denn perfekte Merlots kann man hier ja bereits.

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