Geschäftsführer Christoph Schwegler (rechts) und Kellermeister Fabio Montalbano garantieren die hohe Qualität der Weine.

Geschäftsführer Christoph Schwegler (rechts) und Kellermeister Fabio Montalbano garantieren die hohe Qualität der Weine.
© Mischa Scherrer

Staatskellerei entstaubt – Ein Porträt

Vor zwanzig Jahren kaufte Mövenpick die altehrwürdige Staatskellerei Zürich und verpasste dem zweitgrössten Weinbetrieb des Kantons ein neues, modernes Outfit.

Die Halbinsel Rheinau ganz im Norden des Kantons Zürich ist ein wahrer Kraftort, ein friedvoller Platz der Schönheit, irgendwie wie aus der Zeit gefallen. Umschlungen vom Rhein und umgeben von Deutschland liegt ein kleines, mittelalterliches Dorf und zu dessen Füssen ein terrassenförmig angelegter, biologisch-dynamisch bewirtschafteter Rebberg. Über eine Insel im Rhein erstrecken sich das ehemalige Benediktinerkloster – seine Gründung soll auf das Jahr 778 zurückgehen – und die barocke Klosterkirche mit ihrer wuchtigen Doppelturmfront. Daneben, dorfseitig, betritt man durch eine Pforte und über eine steile Steintreppe den alten Klosterkeller, ein mächtiges Tonnengewölbe, dessen rechtwinkliger, 110 Meter langer Gang voluminöse historische Holzfässer enthält, gefolgt von einer Batterie Eichenbarriques und modernsten Inox-Gärtanks. Hier werden die Weine der Zürcher Staatskellerei gekeltert, die 1997 privatisiert und von der Mövenpick Wein AG übernommen wurde. Aus einer derart stimmigen Umgebung kann kein schlechter Wein kommen, denkt sich der Besucher.

Im barocken Gewölbekeller in Rheinau lagern neben alten Holzfässern auch zahlreiche Eichenbarriques.
© PhillippDubs
Im barocken Gewölbekeller in Rheinau lagern neben alten Holzfässern auch zahlreiche Eichenbarriques.

Vielleicht nicht gerade schlechten, aber grösstenteils doch recht bescheidenen Wein lieferte die Staatskellerei gegen Ende ihrer 135-jährigen Geschichte unter der kantonalen Verwaltung. Ein Regierungsrat soll damals bei einem offiziellen Anlass gefragt haben: «Nehmen wir was von der Staatskellerei oder gehen wir direkt zum Wein?» Grossartige Tropfen werden die Flaschen auch nicht enthalten haben, als der Betrieb 1862 aus der Taufe gehoben wurde. Pate oder zumindest Vollstrecker des Gründungsakts war kein Geringerer als der grosse Gottfried Keller. Der Dichter hatte damals bereits die erste Fassung des «Grünen Heinrich» und Teil 1 der «Leute von Seldwyla» ­vorgelegt und amtete im Brotberuf als Staatsschreiber. Er unterschrieb die Beschlüsse, die das Kloster im Zuge der Säkularisierung zu einer kantonalen Heilanstalt, damals noch Irrenanstalt genannt, umwandelten und den Klosterkeller mit dem Spitalamtskeller zur Zürcher Staatskellerei zusammenlegten. 
Die Weinproduktion belieferte damals vor allem die Spitäler und Heime des Kantons: Den Patienten soll eine tägliche Ration von bis zu einem Liter verschrieben worden sein, den Angestellten wurde eine solche von 1,5 Liter zugestanden. Die Leute von Mövenpick standen also bei der Übernahme vor zwanzig Jahren vor einer Herkulesaufgabe. Zum einen waren da beeindruckende Zahlen: Rund hundert Winzer aus allen wichtigen Weinbaugebieten – Unterland, Rafzerfeld/Winterthur, Weinland, Zürichsee und Oberland – lieferten ihre Trauben nach Rheinau; die Ernte von über sechzig Hektaren, einem Zehntel der kanto­nalen Anbaufläche, wurde eingekellert. Die Staatskellerei ist damit nach Volg der zweitgrösste Verwerterbetrieb des Kantons.
Zum anderen galt es, den guten Ruf der ­Weine wiederherzustellen, ja, ihnen überhaupt wieder einen Ruf zu verschaffen.

Süsse und grosse Weine

Treibender Motor der Sanierung waren Geschäftsführer Christoph Schwegler und Kellermeister Werner Kuster. Schweglers Motto liegt auf der Betonung der regionalen Herkunft: «Diese liegt voll im Trend. Weiche, fruchtige Weine aus der Region sind bei jüngeren wie älteren Weinliebhabern besonders beliebt.» Es wurden neue Weinlinien geschaffen, die sich an Marken und aktuellen Konsumtrends orientieren. Oft wurde auch übers Ziel hinausgeschossen. Einzelne Weine erhielten zur gefälligen Abrundung ein Quäntchen Süsse – allzu viele für unseren Gusto.
Werner Kuster ist inzwischen aus dem Betrieb ausgeschieden. Sein Nachfolger heisst Fabio Montalbano, ist 38 Jahre alt, und verdiente sich seine Sporen bei Volg, ­­bei Landolt und beim Schaffhauser Weingut von Mariann und Thomas Stamm. Vielleicht hätte ein Auslandsaufenthalt seinen Horizont erweitert, doch als die Anfrage als neuer Kellermeister kam, zauderte Montalbano keine Minute: «Ich gehe hier seit meiner Lehre ein und aus, und es war immer mein Traum, bei der Staatskellerei zu arbeiten.» Das Thema Restsüsse im Wein, besonders im Rotwein, kommt natürlich auch bei unserem Besuch auf den Tisch. Gerade der rote Compleo, eine Cuvée aus Pinot Noir, Gamaret und Cornalin, tritt mit zwölf Gramm Restzucker betont süss auf. 
Der aktuelle Jahrgang ist Mövenpicks offizieller Wein des Jahres 2017. Er hat sich also gegen grosse Konkurrenz durchgesetzt und muss ein entsprechend grosses Verkaufspotenzial besitzen. Der gewöhnungsbedürftige Wein bringt einen ins Sinnieren über den Anachronismus des eigenen Geschmacks, zusätzlich noch befeuert von Montalbanos Statement: «Es ist schon ernüchternd. Da machst du einen Wein trocken. Doch erst wenn du etwas Fruchtsüsse hineingibst, ­reissen ihn dir die Leute aus den Händen.»
Glücklicherweise offeriert die Staatskellerei auch traditionellere Tropfen für weniger trendige Zeitgenossen. So etwa einen schönen, typischen Räuschling, einen süffigen Rosé und einen geradlinigen Pinot Noir, ­beide aus der Linie «Pankraz», der Hommage an den einstigen Staatsschreiber und seine Novelle «Pankraz, der Schmoller», und einen charakterstarken Gamaret. Und im Gestell des Verkaufsgeschäft in Rheinau finden sich noch ein paar Flaschen Pinot Noir Tête de Cru 2011. Der Wein stammt noch von Werner Kuster. Seine Trauben wachsen in bester Rheinlage in Eglisau und stammen aus tiefem Ertrag von 400 Gramm pro Quadratmeter. Hatten frühere Jahrgänge die drastische Holzfracht auch mal schlecht verdaut, so zeigt sich der 2011er diesbezüglich geläutert.
Fabio Montalbano weiss noch nicht, ob er Kusters Weinerbe in diesem Fall antreten will. Wenn ein Rat gesprochen werden darf: Ja, unbedingt.
Aus dem Falstaff Magazin Nr. 05/2017

Martin Kilchmann
Martin Kilchmann
Wein-Chefredakteur Schweiz
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