Beliebter Special Cut: Hanging Skirt, auch Onglet genannt, vom Rind.

Beliebter Special Cut: Hanging Skirt, auch Onglet genannt, vom Rind.
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Special Cuts: Nachhaltiger Fleischgenuss

Profis wie Marlene Halter und Moritz Stiefel ziehen Special Cuts den klassischen Edelstücken vor. Die Köchin aus Zürich liebt das Zwerchfell vom Rind, ihr Berufskollege aus Luzern Kinn und Bürgermeisterstück vom Schwein.

Ein Besuch bei Marlene Halter im Restaurant «Metzg» an der Zürcher Langstrasse ist immer auch lebendiger Unterricht in Sachen Fleisch. Die Special-­Cut-Pionierin, die bei der Eröffnung des Lokals vor fünfeinhalb Jahren ganz bewusst diese Nische besetzte, bietet in ihrer Vitrine bis heute vor allem Stücke an, die man andernorts selten oder nie zu sehen bekommt. Ein Flap Steak vom Angusrind zum Beispiel. «Das Flap ist ein ganz hervorragendes Kurzbratstück mit beachtlicher Marmorierung, mittlerer Faserstruktur und herrlich intensivem Aroma», erklärt Marlene Halter. «Zusammen mit den bekannteren Stücken Flank und Inside Skirt bildet es den Bauchlappen, den man hierzulande in der Metzgersprache als Lempen bezeichnet.»

Traditionellerweise findet dieses Fleisch hierzulande in Suppen oder Würsten Verwendung und wird als Einheit wahrgenommen. Marlene Halter findet das schade – und unverständlich: «Das Flap ­herauszutrennen, ist kein grosser Aufwand. Die meisten Metzger kennen es aber schlicht und einfach nicht. Obwohl sie es zu einem guten Preis verkaufen könnten. Kurzbratstücke sind sehr begehrt, hierzulande herrscht daran immer ein Mangel. Und man sollte doch ohne Fleischimporte auskommen.»

Marlene Halter vom Restaurant «Metzg» in Zürich liebt Special Cuts wie Outside Skirt, Hanging Tender und Flat Iron.
Foto beigestellt
Marlene Halter vom Restaurant «Metzg» in Zürich liebt Special Cuts wie Outside Skirt, Hanging Tender und Flat Iron.

Special, nicht second

Spielt nicht auch die Kundschaft eine Rolle, die beim allseits bekannten Hohrückensteak nun einmal eher zugreift als bei einem Flap? «Das ist sicher so», räumt Marlene Halter ein. «Doch hier muss man halt ein wenig Überzeugungsarbeit leisten. Bei mir in der ‹Metzg› gehört das zum Alltag, und die Erfahrung zeigt, dass die Leute gerne Neues ausprobieren, wenn man sich ein wenig Zeit nimmt und ihnen erklärt, warum ein Special Cut eine sehr gute Wahl ist. Noch mehr als sonst kommt es bei diesen Stücken allerdings auf die Qualität an, auf die Fütterung, das Alter und die Lagerung.» Die Inhaberin der «Metzg» konzentriert sich deshalb auf Fleisch aus der Schweiz, dessen Produzenten sie gut kennt. Besagtes Flap Steak zum ­Beispiel stammt von der Firma Holzen Fleisch in Ennetbürgen im Kanton Nidwalden.

Ein weiterer Special Cut, der in den ­Augen von Marlene Halter mehr Beachtung verdient, ist das Teres Major oder Metzgerstück, ein Teil der hinteren Schulter. «Beim Rind ist dieser Muskel ungefähr 20 Zentimeter lang und sieht aus wie ein kleines Filet. Sein Geschmack ist bombastisch, die Zartheit fast identisch mit jener des Filets. Wenn ich es an den Mann oder die Frau bringen will, muss ich in der Regel nur erwähnen, dass es sich um das zweitzarteste Stück des ganzen Tieres handelt», erklärt die Köchin.

Erste Wahl

Selbst isst sie am liebsten Stücke mit etwas mehr Textur: Outside Skirt, Hanging Tender (Onglet), Flat Iron und Bürgermeisterstück. «Das Outside Skirt ist der Zwerchfell­muskel, der am Rippenbogen entlang geht. Es besitzt eine relative lose Struktur, einen wunderbaren Biss und ein unheimlich kräftiges Aroma. Das Onglet schneidet man ebenfalls aus dem Zwerchfellmuskel. Es ist ein wenig kompakter und noch einen Tick aromatischer», sagt Marlene Halter. «Dem Absatz des Onglets hilft es sicher, dass der Name vielen Konsumentinnen und Konsumenten aus Frankreich oder der Romandie ein Begriff ist. Wenn ich es ebenso korrekt Nierenzapfen nennen würde, hätte kaum jemand Interesse. Ich spiele natürlich mit solchen Dingen, schaue, wie ich jemanden am ehesten neugierig machen kann.»

Für hinderlich hält die Expertin, dass sich für Special Cuts vielerorts der Begriff «Second Cuts» eingebürgert hat. Dies suggeriere, dass man es hier mit Fleisch zweiter Wahl zu tun habe, was absolut nicht der Fall sei. «Das Flat Iron stammt aus dem Schulterspitz», fährt ­Marlene Halter fort. «Will man das schön marmorierte Stück mit feinem Aroma kurzbraten, muss man unbedingt die dicke Sehne entfernen lassen, die ­mitten durch den Schulterspitz läuft.» 

Special Cuts vom Luzerner Restaurant «Stiefels Hopfenkranz»: Blut vom Schwein, Mole und Zwiebeln.
© Raffaele Mariotti
Special Cuts vom Luzerner Restaurant «Stiefels Hopfenkranz»: Blut vom Schwein, Mole und Zwiebeln.

Moritz Stiefel vom Restaurant «Stiefels Hopfenkranz» in Luzern plädiert dafür, bei Special Cuts nicht immer nur an Rindfleisch zu denken, sondern auch an weniger geläufige Stücke vom Schwein. «Kürzlich habe ich aus dem Kopf und ­einem kleinen Teil der Schulter eines ganzen Tieres, das ich von meiner Frau geschenkt bekam, Fleischpralinen hergestellt», sagt der Inhaber und Küchenchef des für nachhaltige, kreative Küche bekannten Lokals. «Erst geschmort, dann paniert, knusprig ausgebacken und mit Zwiebelcreme serviert, waren diese Pralinen ein grosser Genuss

Besonders das Kinn habe es ihm angetan, betont Stiefel. Hierzulande kaum beachtet, ist das fett- und bindegewebsreiche, überaus saftige Stück in anderen Ländern sehr geschätzt. Die Österreicher verwenden es für Suppen, Pasteten und Sülze. Die Italiener – vor allem jene in der Gegend um Rom – verarbeiten das Kinn und die benachbarten Schweinebacken zu Guanciale, dem Speck, den es für originale ­Spaghetti alla ­carbonara oder all’amatriciana braucht. Und was hat Stiefel sonst noch für sich entdeckt? «Hals und Bürgermeisterstück vom Schwein ­machen mir viel ­Freude», sagt er. «Am ­besten gelingt der Hals, wenn man ihn scharf anbrät und danach bei 65 Grad über Nacht sous-vide zu Ende gart. Das Bürgermeisterstück eignet sich wie beim Rind sehr gut zum Kurzbraten.»

Schweineschnauze? Aber ja! Auf diesem Teller von Moritz Stiefel gemeinsam mit Schweinebauch und Aal.
© Raffaele Mariotti
Schweineschnauze? Aber ja! Auf diesem Teller von Moritz Stiefel gemeinsam mit Schweinebauch und Aal.

Öfter mal was Neues

Als er 2016 den Weg in die Selbstständigkeit ging, sei klar gewesen, dass er nicht einfach Filet und Schnitzel anbieten möchte, sondern Stücke, welche die Leute nicht von daheim kennen. «Darin liegt doch ein viel grösserer Reiz. Zudem beziehe ich in aller Regel ganze Tiere und habe natürlich ein Interesse daran, das Maximum herauszuholen, sprich: spannende Special Cuts zu finden», erklärt der Koch, der wie Marlene Halter die enorme Bedeutung von Aufzucht und Lagerung für die Qualität von Special Cuts betont. Vor fünf Jahren hätten manche Gäste noch Mühe gehabt, wenn sie nicht die gewohnten Edelstücke vorgesetzt bekamen. Dies sei zumindest im «Hopfenkranz» aber längst Geschichte. «Inzwischen fragen die Leute sogar nach Special Cuts, ebenso wie nach Innereien oder anderen Stücken, die sie früher noch argwöhnisch beäugten.»


Bei Special Cuts

Darin sind sich Marlene Halter und Moritz Stiefel einig – kommt der Qualität des Fleischs und der Lagerung eine noch grössere Bedeutung zu. Die Chefin der «Metzg» in Zürich und der Chef des Restaurants «Hopfenkranz» in Luzern beziehen ihr Fleisch bei Schweizer Betrieben, zu denen sie eine persönliche Beziehung pflegen. 

Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2021

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Alexander Kühn
Autor
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