Grüne Reben und blaues Meer, eine Wohltat für Auge und Seele: So sieht es vielerorts aus an Siziliens Küsten.

Grüne Reben und blaues Meer, eine Wohltat für Auge und Seele: So sieht es vielerorts aus an Siziliens Küsten.
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Sizilien: Der Wein-Kontinent

Die grösste Mittelmeerinsel stand einst für billige Massenweine. Mit einer neuen Generation von Winzern knüpft Sizilien an eine jahrtausendealte Hochkultur an.

Rund um den grossen Tisch herrscht ehrfurchtsvolle Ruhe. Vor dem knappen Dutzend Weinjournalisten stehen jeweils 15 Gläser des Rosso del Conte aus Jahrgängen von 2016 bis 1983. Eine beeindruckende Reihe. Auch der älteste Jahrgang der Vertikalen zeigt sich noch immer präsent und frisch: Wer hätte einem Wein aus Sizilien zugetraut, dass er ein solch biblisches Alter erreichen kann? «Dabei ist das noch lange nicht der erste Jahrgang des Rosso del Conte», meint der strahlende Alberto Tasca. Sein Grossvater, Conte Giuseppe Tasca d’Almerita, hat einst mit dem Qualitätsweinbau auf Regaleali begonnen. Ende der 1960er-Jahre reiste er nach Südfrankreich und war beeindruckt vom Châteauneuf du Pape. Heimgekehrt ging er daran, einen eigenen Wein zu kreieren, der diesem in Ausdruck und Fülle entsprechen könnte. 1970 erzeugte er den ersten Rosso del Conte, eine Cuvée aus den lokalen Sorten Nero d’Avola und Perricone. Dabei gibt der Nero d’Avola Frische und Frucht, der Perricone bringt Struktur und Tannin. In den ersten Jahren reifte der Wein in Fässern aus Kastanienholz, später in Eiche.Und die beeindruckendsten Weine der Vertikalen? Neben 1983 waren das 1990, 1999, 2010 und dann vor allem 2015 und 2016. Mit seinem Geburtsjahr 1970 war der Rosso del Conte der erste Lagenwein Siziliens, Conte Giuseppe ein weitblickender Pionier. Wie ganz Italien lag die Insel damals in Sachen Weinqualität noch im Tiefschlaf. Ein schlafender Gigant: Denn mit 103.000 Hektar verfügt der Weinbau auf Sizilien über ziemlich genau die gleiche Rebfläche wie ganz Deutschland.

Grosse Vielfalt

Von den sonnendurchfluteten Weingärten bei Pachino im Südosten oder bei Trapani und Marsala im Westen, über die Hügellagen im Landesinneren bis hinauf an die Hänge des Ätna und der Monti Nebrodi sind die Klimazonen sehr verschieden. Zu Recht nennen die Sizilianer ihre Insel daher einen eigenen Kontinent, der eine Vielfalt unterschiedlichster Weine hervorbringt. Auch Familie Tasca kann vielstimmig auf dieser Klaviatur spielen: Die wichtigste Tenuta ist Regaleali mit knapp 400 Hektar, gut zwei Stunden Autofahrt von Palermo entfernt im Landesinneren gelegen. Von hier stammen die zwei bekanntesten Weine des Hauses: Regaleali Bianco (Inzolia, Grecanico, Cataratto) und Regaleali Rosso (Nero d’Avola), die beide in beachtlichen Stückzahlen erzeugt werden. Mit Mozia bei Marsala, Tascante am Ätna, Capofaro auf der Insel Salina und Sallier de La Tour bei Monreale besitzt Tasca eine Handvoll weiterer eigenständiger Weingüter ausserhalb von Regaleali.
Die Vielfalt setzt sich auch bei der Sortenwahl fort: Waren es in den 1990er-Jahren vor allem Chardonnay und Cabernet Sauvignon, mit denen Tasca in der internationalen Weinwelt auf Sizilien aufmerksam machte, konzentriert man sich inzwischen wieder mehr auf heimische Sorten. 
Neben Tasca gibt es weitere Familien, die in der Qualitätsrevolution der sizilianischen Weine eine wichtige Rolle spielen. Mitte der 1990er-Jahre gründeten die Cousins Francesca, Alessio und Santi Planeta ihren Betrieb bei Menfi. Getrieben von jugendlichem Elan und klaren Qualitätsvorstellungen machte das Trio schnell Furore. Nicht zuletzt der Chardonnay liess Weinkenner aus aller Welt ungläubig staunen: So was kommt aus Sizilien? Neben Menfi ist Planeta heute mit eigenen Betrieben in Vittoria (Dorili), Noto (Buonvini), am Ätna (Sciaranuova) und in Capo Milazzo (La Baronia) im Norden Siziliens präsent. 

Passito und Jazz

Ein weiterer grosser Name ist Donnafugata, hinter dem die Familie Rallo steht. Der Betrieb mit Hauptsitz in Marsala wird von den Geschwistern Josè und Antonio geleitet. Die Rebfläche von 370 Hektar verteilt sich auf vier Anbaugebiete: Contessa Entellina im Hinterland von Menfi im Westen, Vittoria im Süden, den Ätna und die Vulkan- insel Pantelleria. Auf Letzterer entsteht ein Wein, der der Familie besonders am Herzen liegt, der rare und köstlich süsse Passito di Pantelleria. Flaggschiff von Donnafugata ist indes der Mille e una Notte, der sich im Laufe der Jahre von einem Blend zum reinsortigen Nero d’Avola entwickelte. Mit einer Vielzahl weiterer Weine, alle mit Künstleretiketten ausgestattet, deckt Donnafugata die gesamte Sortenpalette ab. Vielseitig wie die Weine sind hier auch die Personen: Josè Rallo ist auch eine grandiose Jazzsängerin.
Neben diesen grossen Familien, zu denen auch Cusumano und Di Gaetano (Firriato) zählen, sind es viele kleine Betriebe, die für Dynamik sorgen. So wie derjenige von Fabio Sireci, dessen Weingut Feudo Montoni 25 Hektar gross ist. Die höchstgelegenen Weinberge erreichen hier, im geografischen Zentrum Siziliens, 700 Meter Meereshöhe. Fabio Sirecis ganzer Stolz ist der Nero d’Avola aus der Lage Vrucara. Ein charaktervoller Wein, dessen Trauben von alten, wurzelechten Stöcken stammen. Einen dieser Methusalems hat er einmal ausgegraben – die Wurzeln waren elf Meter lang, erzählt er. Fabios Partnerin Melissa Muller führte früher ein Restaurant in New York. Die Liebe brachte sie wieder zurück zu den Wurzeln ihrer Familie nach Sizilien. Eine exzellente Köchin ist sie immer noch. Das zeigt sie in Kochkursen, in denen man die traditionellen Gerichte der Insel kennen- lernt. Die hausgemachten Nudeln aus Kichererbsenmehl sind köstlich!
Eines der angesagtesten Weinzentren in Sizilien ist auch der Südostzipfel zwischen Noto und Vittoria. Nicht von ungefähr: Noto ist die Heimat des Nero d’Avola. Einer Traube, die durch ihre faszinierende Qualität auch ausgewanderte Geschäftsleute zurück auf die Insel bringt. So hat der in Mailand tätige Unternehmer Vito Catania das alte Weingut seiner Familie reaktiviert und erzeugt unter dem Namen Gulfi vier grandiose Einzellagen-Nero d’Avola aus biologischem Anbau.
So hoch das Prestige des Nero d’Avola heute auch ist, der einzige DOCG-Wein Siziliens ist per Gesetz eine Cuvée aus Nero d’Avola und Frappato: der Cerasuolo di Vittoria. Trotz ihrer jungen Jahre ist Arianna Occhipinti eine der profiliertesten Erzeugerinnen von Cerasuolo. Erstklassig ausgebildet an der Uni Mailand, machte sie sich mit Herzlichkeit und Eloquenz rasch zu einer Wortführerin der Naturwein-Bewegung. Sie sehe sich nicht als Technikerin, die mit Interventionen den Wein hinbiege, meint Arianna überzeugt, sondern als Hebamme, die ihm zum Ausdruck verhelfe.

Auch der Marsala lebt

Über Jahrhunderte bestimmte der Marsala den sizilianischen Wein. Heute ist es still geworden um diese oxidativ ausgebauten Kunstwerke – denn ihr aus der Zeit gefallener Geschmack stösst bei vielen auf Unverständnis. Doch wer einmal Gelegenheit hatte, den knochentrockenen Baglio Florio der Familie Florio zu probieren oder eine der Reserven, die bis zum Jahrgang 1941 zurückreichen, der wird die Bewunderung verstehen, die Kenner solchen Weinen entgegenbringen. Das ist auf Flaschen gefüllte Zeit. Und Florios alte Kellerhallen sind eine Attraktion: Hier trifft die grosse Tradition Siziliens auf lebendige Gegenwart.

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Othmar Kiem
Othmar Kiem
Chefredakteur Falstaff Italien
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Von Redaktion