Schweizer Spezialität: Der Cervelat im Wurstsalat

Der Cervelat ist die Nationalwurst der Schweiz. Wer ihn nicht über dem offenen Feuer brät oder als «Waldfest» isst, macht einen Wurstalat daraus.

Auf die Idee muss man erst einmal kommen, eine essbare Masse in eine Hülle zu stopfen. Der Mensch lernte, Fleischabschnitte vom Schlachtvieh zu verwenden, in einen Darm zu pressen, abzuschnüren und aufzuhängen. Konkret wurde diese Praxis mit den Römern, später entdeckten Dichter und Denker die Wurst für sich – literarisch wie praktisch. Die berühmteste Wurst der Welt ist der Haggis, dem der Dichter und schottische Nationalheld Robert Burns die Ode «Address to a Haggis» widmete. Ein Ungetüm. Ode wie Wurst! Die Wurst setzt sich aus den minderen Teilen des Schafs, ge­­rösteten Haferflocken und Gewürzen zu­­sammen und sorgt bei empfindlichen Menschen mit schwachen Magennerven für rote Köpfe. Für keine roten Köpfe sorgt die Schweizer Wurstvielfalt mit ihren rund 400 Sorten. Jede Region ist stolz auf ihre eigene Wurstspezi­alität. Berner Zungenwurst, Bündner Beinwurst, Glarner Kalberwurst oder Urner Hauswurst – alles da.

Die besondere Wurst
Aber nur eine Wurst ist des Schweizers Liebling: Die Brühwurst, der Cervelat (auch Cervelas geschrieben), der in Basel Klöpfer, in St. Gallen Stumpen und in Zürich Servelat heisst, setzt sich laut Lehrbuch aus 37 Prozent Rindfleisch, 25 Prozent Wurstspeck, ­15 Prozent Schwartenblock und 23 Prozent Eiswasser zusammen. Die Gewürzmischung muss Pökelsalz, Pfeffer, Muskatnuss, Koriander, Knoblauch, Nelken und Frischzwiebeln enthalten. Allerdings haben alle Metzger für ihren Cervelat eine eigene Spezialmischung – die Beste natürlich.

Von der «Arbeiterforelle» zum kulinarischen Erbe
Rund 160 Millionen Cervelats werden in der Schweiz jährlich produziert. Wie viele Cervelats zu schlechten Wurstsalaten verarbeitet werden, ist allerdings nicht bekannt. Auch wie und wann die Wurst entstanden ist, weiss keiner so genau. So wie wir den Cervelat heute kennen, gibt es ihn seit der Erfindung des Fleischwolfs, also rund 200 Jahre. Das wohl älteste Rezept stammt aus dem Jahr 1749 und ist in einem Berner Kochbuch verewigt. Damals war der Cervelat noch eine Festtagswurst und mit Wein und Blut angereichert. Kein Wunder gehört der Cervelat zum kulinarischen Erbe der Schweiz (www.kulinarischeserbe.ch). Auch seine zahlreichen Übernamen sind in aller Munde, wird er doch als «Arbeiterforelle», «Kotelett des armen Mannes» oder «Proletenfilet» bezeichnet. Keine schmeichelnden Worte. Trotzdem: Wenn die Schweizer B-Prominenz gemeinhin als «Cervelat-Prominenz» bezeichnet wird, so ist das eine Beleidigung für die Wurst und nicht für die Betroffenen.

Klassisch und grob geschnitten: der Wurstsalat in der «Alten Post». / Foto beigestellt
Klassisch und grob geschnitten: der Wurstsalat in der «Alten Post». / Foto beigestellt

Kulinarischer Gradmesser
Und sonst? Wer eine Wirtschaft testen ­will, bestellt bei seinem ersten Besuch einen Wurstsalat, sofern einer angeboten wird. Ist dieser sorgfältig zubereitet, mundet er, kurz, taugt er was, kann der Gast der Küche trauen. Taugt er nichts, taugen auch die restlichen Speisen, taugt der Koch nichts. Denn meist liegt es nicht am Metzger und an seiner Cervelat, sondern am Koch, der die Wurst nur zu oft beleidigt. Ein Stümper ist, wer den Cervelat in einer vorgefertigten Saucenpampe ertränkt, den Salat mit Industriekäse verunreinigt und ihn mit Mais und anderem Beigemüse aus der Büchse garniert. Das ist der kulinarische Super-GAU. Da wünscht man sich bei manchem Koch, er würde den Cervelat mit seinen «Kochkünsten» nicht malträtieren, sondern ihn einfach als «Waldfest» servieren. Also kalt, mit Senf und Brot. Und wie sieht es bei unseren Nachbarn aus. Also im Badischen, in Vorarlberg und im Elsass? Im Badischen macht der Feinschnitt den Unterschied. Und als Wurst wird vorwiegend Lyoner verwendet. Kulinarische Württemberger Snobs adeln den Salat mit der «Höri-Bülle», einer roten Speisezwiebel, die ihren Namen von der Bodenseehalbinsel Höri hat. In Vorarlberg heisst der Cervelat Schübling, und wenn Käse hinzukommt, wird daraus ein Lumpensalat. Schmecken tun beide. Bei den Elsässern wiederum ist die geläufige Bezeichnung Strassburger Wurstsalat, der mit Lyoner und Käse in feinen Streifen geschnitten, an einer Sauce aus Öl, Essig und scharfem Senf zubereitet wird.

Die Lust am Genuss
Wo sind sie aber nun, die Gasthäuser, die einen guten Wurstsalat auftischen. Solche ­mit einem Garten, der ohne pseudo-medi­terrane Kübellandschaft auskommt. Dort, wo noch der Kies unter der Schuhsohle knistert, wo die letzte suchende Hummel zur Blume brummt, die Vögel ihre Arien intonieren, der Kastanienbaum seine Blätter und Maronen verliert, der Nussbaum das Ungeziefer vertreibt und die Blechtische aufgefangene Herbstwärme abstrahlen. Dort, wo die Holzstühle einen zum gerade Sitzen zwingen und der Service mit einem Lächeln den Wurstsalat auf einem runden weissen Teller mit Bauernbrot und einem frisch gezapften Bier oder einem mineralischen Gutedel auftischt. Sind das nicht die kleinen Sensationen des Altweibersommers, nach denen wir uns alle sehnen? Und wenn nicht alle, dann zumindest alle passionierten Beizen­gänger. Wohlan!

Illustration: Artur Bodenstein

WURSTSALAT

  1. Restaurant Linde, Angereichert mit Bierkäse. Schlossgässli 2, 9325 Roggwil, www.huus-braui.ch
  2. Alte Post, Einfacher Wurstsalat mit Grobschnitt. Pöstliweg, 8914 Aeugst am Albis
  3. Blauer Engel, Angereichert mit Etivaz-Käse. Zehntenweg 5, 5235 Rüfenach b. Brugg AG; www.blauerengel.ch
  4. Gasthof zum Rössli, Klassischer und üppiger Wurstsalat. Hauptstrasse 57, 4495 Zeglingen; www.roessli-zeglingen.ch
  5. Fischerstube, Entweder klassisch mit Cervelat oder mit der hauseigenen Bierwurst. Rheingasse 45, 4058 Basel; www.restaurant-fischerstube.ch

CERVELAT

  1. Metzgerei Rufer: Ein Cervelat mit kräftigen Rauchnoten. Hauptstrasse 206, 5044 Schlossrued; www.catering-metzg.ch
  2. Metzgerei Friedli: Mit einem feinen Hauch Koriander. Mittelgäustrasse 53, 4616 Kappel SO
  3. Hofmetzgerei Silberdistel: Dieser Cervelat kommt ohne Nitrit aus. Obere Wies, 4718 Holderbank; www.silberdistel-kost.ch
  4. Metzgerei Stettler: Aromabombe mit ungewöhnlicher Farbe, da keine E-Stoffe in die Wurst kommen. Marktgasse 15, 4900 Langenthal; www.bio-metzg.ch

Aus der Schweiz-Ausgabe des Falstaff-Magazins 08/2015

(Von Martin Jenni)

Martin Jenni
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