Atemberaubendes Panorama: Schloss Tourbillon und Schloss Valère hoch über Sion.

Atemberaubendes Panorama: Schloss Tourbillon und Schloss Valère hoch über Sion.
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Petite Arvine: Die Königin des Wallis

Das Wallis ist eine wahre Schatzkammer autochthoner Sorten und die Petite Arvine ist das Kronjuwel. Die weisse Varietät gehört zum Wallis wie das Matterhorn, die Rhone und die kleinen, steilen Rebparzellen über dem Talboden.

Die Petite Arvine ist eine Ur-Walliserin. Seit 1602 ist die Traube im heute grössten Rebkanton der Schweiz bekannt. Mit ihrer Herkunft und ihren Bedürfnissen hat sich der Indiana Jones der Rebsortengenetik, Dr. José Vouillamoz, intensiv beschäftigt: «Die Arvine liebt Hitze, durchlässige Böden, ausreichend Wasser und windfreie Lagen. Bedingungen, die diese Sorte mit den kompakten Trauben und den kleinen Beeren nur im Wallis findet. Darum fasst sie in anderen Regionen auch schlecht Fuss. Einzig im Aostatal, wo sie seit den 1970ern heimisch ist, sind die Qualitäten vergleichbar.» Arvine sei für ihn übrigens der richtige Namen der Sorte, fügt er hinzu.

Die Traube kam zum Attribut «Petite» im ausgehenden 19. Jahrhundert, um sie von der Grosse Arvine zu unterscheiden. Die Grosse Arvine, eine Enkelin der Arvine, wird heute zwar noch von Winzern im Unterwallis kultiviert, um das genetische Rebmaterial zu erhalten – für den Markt hingegen, ist sie nicht mehr relevant.

Arvine ist die spannendste und vielfältigste autochthone weisse Sorte im Wallis. Ihre Weine gibt es in den Varianten trocken mit oder ohne Barrique-Ausbau, mit etwas Restzucker, als Spätlese und in idealen Jahren als Süsswein. Seit einigen Jahren ist noch eine Dimension hinzugekommen: Petite Arvine aus Einzellagen. Für ­Vouillamoz liegt hier ganz klar die Zukunft der Sorte.

Die Sorte Arvine liebt Hitze, durch-lässige Böden, ausreichend Wasser und windfreie Lagen. Genau diese Bedingungen findet sie in den Rebhängen des Wallis vor.
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Die Sorte Arvine liebt Hitze, durch-lässige Böden, ausreichend Wasser und windfreie Lagen. Genau diese Bedingungen findet sie in den Rebhängen des Wallis vor.

Rolling Stones

Den Stein ins Rollen in diesem Bereich brachten die Winzer von Fully. Hier stehen die grössten Arvine-Bestände des Wallis auf kristallinen, kalkarmen Böden, auf Gneis und Schiefer, auf Felsbändern, die mit Löss bedeckt sind, oder auf mit Kieseln durchsetzten Endmoränen. Zwischen 1999 und 2021 wuchs die Arvine-Fläche in Fully von sieben auf 40 Hektar an. Diese Verfüg­barkeit ist das Fundament für die Lagen­selektionen. «Wir verleihen dem Terroir wieder mehr Gewicht, heben es aufs Podest und schaffen so ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem die nachfolgenden Generationen gut arbeiten können», sagt Benoît Dorsaz, der es schafft, der Sorte mit dem Barrique-Ausbau ein monumentales Denkmal zu setzen, während sein Lagen-Arvine aus dem Stahltank so feingliedrig strukturiert ist, dass es schlicht unmöglich ist, sich daran satt zu trinken. Die Komplexität der Weine basiert jedoch nicht alleine auf der knackigen Säure und der viel gepriesenen Salzigkeit. Es sind die feinen Bitternoten, die typisch für Arvine-Weine sind, die von kalkarmen Böden stammen.

Damien Carruzzo, Önologe bei der Walliser Genossenschaft Provins, setzt bei der Arvine auf Diversifikation.
© O.Marie
Damien Carruzzo, Önologe bei der Walliser Genossenschaft Provins, setzt bei der Arvine auf Diversifikation.

Maurice Troillet: der Pate

Damien Carruzzo steht die Vorfreude ins Gesicht geschrieben, als er den Korkenzieher ansetzt. Der Önologe arbeitet seit 2002 bei der Genossenschaft Provins SA in Sion. «Eine Arvine 1968 habe ich noch nie verkostet», sagt er. Die Flasche ist geschichtsträchtig. Sie ist Maurice Troillet (1880 bis 1961), dem Gründer der Provins, gewidmet. Die Arvine-Trauben stammen aus der Parzelle «Les Claives» in Fully, die ihm einst gehörte und die heute von seiner Grossnichte, der Spitzenwinzerin Marie-Thérèse Chappaz, bewirtschaftet wird.

Auch sonst ist der Wein eine Rarität, denn in den 1960ern bestimmte bereits das Sortenquartett Chasselas (Fendant), Pinot Noir, Gamay und Johannisberg (Silvaner) das Schaffen der Winzer in der Region. Maurice Troillet, Walliser Grossrat, war daran nicht ganz unschuldig. Er pushte über Jahrzehnte hinweg die Landwirtschaft und die Vermarktung deren Produkte. Die Güterzusammenlegung für ein wirtschaftlicheres Bearbeiten der Flächen geht ebenso auf sein Konto wie die Regulierung der Rhone und die daraus folgende Entwässerung des Talbodens.

Bis 1936 wurden zwischen Brig und Martigny rund 37.000 Hektar Land urbar gemacht, rund zwei Drittel davon liegen in der Bergzone. «Troillet wirkte zu einer Zeit, als im Wallis punkto Wein Goldgräberstimmung herrschte. Nach dem Reblaus-Desaster wuchs hier die Rebfläche kontinuierlich, wodurch Zürich seinen Status als grösster Weinbaukanton der Schweiz verlor. Im Wallis gab es geeignetes Terroir, auf dem noch nie ein Rebstock stand», erzählt Carruzzo, der die Fläche an historischen Rebbergen im Wallis auf rund 1000 Hektar beziffert – also rund ein Fünftel dessen, was heute bestockt ist.

Gedörrte Aprikosen, Bitterorangenzeste und ein Potpourri getrockneter Kräuter prägen den Duft des 1968ers. Die für einen reifen Arvine typische Petrolnote bestimmt den Gaumen, die Säure ist noch da und eine ätherische Note rundet alles ab. Auch für Carruzzo liegt die Faszination der Sorte in den feinen Bitternoten, der «Amertume», die sich im Abgang zeigt und die Weine so überaus trinkanimierend macht. «Unsere Wahrnehmung von Süss, Salzig und Sauer ist begrenzt, aber wir können 25 verschiedene Arten von Bitter unterscheiden. Ich denke, es ist diese Kombination, die uns so berührt», erklärt der Önologe. Auch bei Provins schärft man das Profil der Sorte, deren Fläche im Kanton in den letzten zwanzig Jahren von 39 auf 243 Hektar wuchs.

Was nach besonders viel klingt, ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Arvine nur rund fünf Prozent der gesamten Rebfläche des Wallis ausmacht. Die Genossenschaft setzt bei der Arvine auf Diversifikation. Die Unterschiede sind perfekt herausgearbeitet. Der «Grand Métral wird seit 1991 ohne malolaktische Gärung vinifiziert. «Maître de Chais» ist eine Cuvée von Arvine-Weinen, deren Trauben aus Rebbergen zwischen Fully und Sierre stammen.

«Tourbillon» stammt von den schieferhaltigen Böden in Sion. «Les Titans» wird in Barriques in einem Stollen der Grande-Dixence-Staumauer auf über 2400 Meter Höhe ausgebaut. «Um die Titanen kümmert sich mein Kollege Luc Sermier. Im Winter – der dauert dort oben oft bis Juni – kann Luc einmal im Monat mit dem Wartungsteam im Helikopter ­hochfliegen und nach den Weinen schauen», erzählt Carruzzo. Weil die Luftfeuchtigkeit fast 100 Prozent beträgt, ist die Verdunstung gering und die Fässer müssen während des Ausbaus nur zweimal aufgefüllt werden», erklärt der Önologe.

Warm und bunt ist es im Flurstück «Les Bernunes» unterhalb vom Dorf Miège bei Sierre. Hier liegt ein grosser Teil der Rebfläche des Biobetriebs Cave Caloz. Zwischen Rebzeilen blüht es in Gelb und Pink und an den Rändern der Parzellen verströmen Kräuter wie Melisse und Rosmarin den intensiven Duft des Südens. Feigen, Granatäpfel, Weinbergspfirsiche und Pistazien gedeihen auch in diesem üppigen Paradies. In Miège wächst die Arvine auf Kalk und tatsächlich präsentiert sich die Amertume hier diskreter. «Du musst den Weinen die Säure lassen», meint Sandrine Caloz, die Weine von grosser Eleganz und Finesse keltert. Eine überbordende und vordergründige Frucht ist nicht ihr Ding. Ihre Petite Arvine duftet nach Akazienblüten, frischen Limonen und Feuerstein.


Erschienen in
Falstaff Nr. 04/2022

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Ursula Geiger
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