Oregon: Burgund im Wilden Westen

Zwei Generationen haben ausgereicht, um den Staat an der Westküste der USA zum Rivalen Burgunds zu machen.

Es braucht nur einen Moment, um den Zauber dieses Orts zu begreifen. Jason Lett geht an dem Hügel entlang, an dem der Weinbau in Oregon begann. Auf diesem Weinberg stehen immer noch einige der ersten Reben, die in Oregon gepflanzt wurden: Wädenswil-Klone vom Pinot Noir, 50 Jahre alt. Die Vulkanerde im The Eyrie Vineyards schimmert rötlich unter den oberarmdicken Reben. In den Tannen über dem Hügel nisten noch immer die Rotschwanzfalken, nach denen der erste Rebberg und Letts Weingut benannt wurden. Jason Letts Vater David war der Erste, der ahnte, dass Reben in Oregon wachsen könnten.

Jason Lett (The Eyrie Vineyards), Sohn des Oregon-Pinot-Pioniers David Lett. / © Gerrit Callsen

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Besessen vom Pinot Noir
Er sollte Zahnarzt werden und provozierte ein Familiendrama, als er beschloss, Weinbau in Kalifornien zu studieren. Lett war ein Getriebener, der Pinot Noir anbetete und monatelang durch das Burgund reiste, um das Wesen der kapriziösen Rebe zu verstehen. Guter Pinot Noir benötige Bedingungen wie in der Bourgogne, das hatte sein Professor ihm mit auf den Weg gegeben. Kalifornien schien ihm zu heiß zu sein, aber in Oregon, meinte er, die idealen Bedingungen für Pinot Noir vorzufinden. So machte er sich auf den Weg – mit langen Haaren, wildem Bart und 3000 Reben, besessen davon, in Oregon den perfekten Pinot Noir zu erzeugen. Als er dort ankam, wurde er ausgelacht, Oregon war bekannt für Haselnüsse und Weihnachtsbäume. Die Banken weigerten sich, ihm Geld für sein Wahnsinnsprojekt vorzustrecken. Aber Lett ließ sich nicht be­irren, er stromerte durch die Gegend, nahm Bodenproben mit einem Drehbohrer, der wie ein riesiger Korkenzieher aussieht.

Wertvolle Erde
In den Dundee Hills im Willamette Valley entdeckte er Jory, erodierte rote Vulkanerde. Dort pflanzte er 1965 die ersten Reben, die Weine baute er in einem schlichten Holzschuppen in McMinnville aus, in dem zu­­­vor Truthähne verarbeitet wurden. »Mein Vater hatte kein Geld für ein Château in den Weinbergen«, erzählt Jason Lett. Aber 1979 schockierte er die Weinwelt, als er auf der Weinolympiade in Paris mit seinem Pinot Noir South Block Reserve aus dem Jahr 1975 die Spitzenwinzer aus dem Burgund vorführte.

Jay Somers / © Gerrit CallsenBurgund am Pazifik
Als Antwort auf diesen Erfolg kauften Winzer von der Côte d’Or und Côte de Beaune Land in Oregon. Ganz in der Nähe des allerersten Weinbergs ließ sich Robert Drouhin nieder, der im Burgund die berühmte Maison Joseph Drouhin leitete. Die Sogwirkung, die der Landkauf der Drouhins auslöste, war gewaltig. Auch andere europäische Winzer machten sich auf den Weg nach Oregon. Als Ernst Loosen in den 1990er-Jahren in Portland unterwegs war, um für Moselriesling zu werben, entdeckte auch er den Oregon-Pinot. Gemeinsam mit Jay Somers betreibt er seit 2009 das Weingut J. Christopher Wines in der Region Chehalem Mountains. »Wir waren uns einig, dass wir keine Fruchtbomben und Muskelprotze wollen«, sagt Somers, »sondern Pinots, die mehr die Alte als die Neue Welt abbilden.« Oregon gilt als idealer Standort für Cool-Climate-Weine, die nicht mit ihrer Statur protzen wie viele andere in der neuen Weinwelt.

Grenzwertig
Die Winzer arbeiten in einem Grenzklima, in dem Weinbau gerade noch möglich ist. Auf heiße Sommer folgen oft kühle und auch regnerische Herbste. »Unsere Reben sind immer am Limit, sie müssen ums Überleben kämpfen«, sagt Mike Etzel. Seine Geschichte erzählt gut, wie jemand der Faszination des Pinots Noirs erliegen kann. Etzel ist der Schwager von Weinkritiker Robert Parker, der eine Vorliebe für üppige, vom Eichenfass geprägte Weine hat. 1986 beschlossen sie, gemeinsam Pinot Noir zu erzeugen, Beaux Frères nannten sie ihr Weingut. Heute räumt Etzel ein, dass er so ziemlich alles falsch gemacht habe, was man falsch machen konnte. Er habe die Weine entsäuert und Enzyme zugesetzt, um dem Weinideal seines berühmten Schwagers nahezukommen. Auch wenn »Bob den alten Stil bevorzugen würde«: Etzel arbeitet inzwischen so zurückhaltend, dass sich die zarte Seele des Pinots Noirs entfalten kann. »Es wäre bescheuert, in Oregon fette Weine machen zu wollen«, sagt er.

Lesezeit im Weingut Chehalem: Für Pinot Noir ist Handlese unentbehrlich. / Foto beigestellt

Vom Scheitern der Neureichen
Harry Peterson-Nedry ist gemächlich auf eine Anhöhe neben seinem Weingut Chehalem bei Newberg gestiegen. Von den Chehalem Mountains ziehen Regenwolken über die hügeligen Weinberge, aber davon lässt sich der 67-Jährige nicht mehr beeindrucken: »Wir haben gelernt, auch in schwierigen Jahren gute Resultate zu erzielen.« Chehalem bedeutet Tal der Blumen in der Sprache der Ureinwohner, der Golopooia-Indianer. Dieser Bedeutung will der Winzer mit einer umweltschonenden Anbauweise gerecht werden. »Lange Zeit wurde viel zu viel Chemie eingesetzt«, sagt Peterson-Nedry, der natürlich eine Vorliebe für Pinot Noir hat, aber auch für Riesling – und das ist ungewöhnlich in Oregon. Aber diese Reben gleichen sich im Wesen, und »wir haben diese wundervolle natürliche Säure, die sie brauchen«. Peterson-Nedry gehört noch zu den Nachzüglern der ersten Winzergeneration. 1980 gründete er Chehalem, in den vergangenen 35 Jahren hat er viele Winzer kommen und gehen sehen, darunter auch neureiche Unternehmer aus anderen Bundesstaaten, die meinten, mit ihrem Kapital alles kaufen und bestimmen zu können. Aber Oregon sei ein besonderes Pflaster. »Nur diejenigen, die zusammenarbeiten, haben Erfolg«, weiß er. »Die anderen scheitern.«

Harry Peterson-Nedry (l.), Gründer und Eigentümer der Chehalem Winery, und Winemaker Mike Eyres. / © Andrea Johnson

Minimalismus als Maxime
Oregon ist ein ungezähmtes Weinland, viele Winzer sind sympathisch verschroben. Man sieht sie kaum am Schreibtisch, Marketingstrategien sollen andere austüfteln. David Autrey und Amy Wesselman zählen zu denen, die man fast immer im Weinberg findet, wo sie sich mit schwieligen Händen um ihre Reben kümmern. Westrey heißt ihr kleines Weingut, das in einem alten Lagerhaus untergebracht ist. Es ist eng, David Autrey ist unrasiert, sein T-Shirt vom Pinot-Saft eingefärbt. Aber auf Statussymbole legt das Winzerpaar keinen großen Wert: Für die beiden zählen »nur die besten Trauben«. Beide haben Philosophie studiert, mit intellektueller Skepsis begegnen sie den technischen Verlockungen im Weinbau. »Je weniger Technik, desto besser«, sagt Autrey lakonisch. Er weiß, dass Pinot Noir mit sensiblem Mini­malismus am besten gelingen kann. Autrey schätzt lange und kühle Vegetationsphasen wie 2011 oder 2010, in denen sich eine stabile Säure ausbilden konnte. »Pinots Noirs aus Oregon sollen keine Kuscheltiere sein«, sagt er. Winzer wie Autrey und Jason Lett, die in McMinnville in Sichtweite voneinander arbeiten, suchen nicht nach Farbe und Kraft, sondern nach Aroma, Eleganz und kühler Frische im Pinot Noir. Nicht umsonst, sagt Autrey, gelte Oregon als »das Burgund der Neuen Welt«.

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Mehr zu den Weinen Oregons und den besondern Winzern die dahinter stecken lesen Sie im Falstaff Magazin 15/08

Text von Rainer Schäfer

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