Marrakesch: Labyrinth der Genüsse
Eden-gleiche Gärten, 1001 dampfende Tajines und ein Bukett, an dem man sich nur berauschen kann - Marrakesch hält an jeder Ecke etwas Betörendes bereit.
Wenn von Marrakesch die Rede ist, sind die Schlagworte meist dieselben. Von «Magie» ist die Rede, von «Romantik» und der «Perle des Orients» – oder zumindest Nordafrikas. In den letzten Jahren mischen sich «Transformation» und «Super-Luxus» darunter. Marrakesch ist beides. Alt und neu, laut und leise, aufputschend und meditativ, staubig und auf Hochglanz poliert. Es ist der Reiz des Fremden, der die nordafrikanische Stadt ganz nach oben auf die «2015 Travelers’ Choice Awards»-Liste des Portals Tripadvisor katapultiert hat – kaum vier Stunden von Wien entfernt, zumindest wenn man direkt fliegen kann.
Surreales in der Wüste
Marrakesch wird zu Recht gehypt, wie jeder bestätigen wird, der nach einem Anflug über die Steinwüste vom Taxifahrer im charmanten Chaos der Altstadt – der Medina – ausgesetzt wird. Wer bereits Destinationen wie Ho-Chi-Minh-Stadt oder Phnom Penh bereist hat, ist ganz klar im Vorteil. Es hat etwas Draufgängerisches, sich, nah an die mit Berberteppichen verhängten Lehmmauern gedrängt, Richtung Hotel vorwärtszuhangeln. Die vorbeirauschenden Mopeds bremsen nicht, der aufwirbelnde Staub vernebelt die Sicht und schafft teils surreale Szenerien. Bevor man sich dieser Herausforderung stellt, heisst es eine Grundsatzentscheidung zu treffen: Wohnt man in der Medina, in einem von Hunderten Riads, von denen mittlerweile etliche den Appendix «Boutique» verdienen, oder jenseits der kleinen Mauer, Richtung Guéliz.
Französische Einflüsse
Dazu muss man wissen: Marrakesch ist mehr als Altstadt und Bazare, die Souks genannt werden. Insbesondere wer von der Medina aus Richtung Guéliz spaziert, vorbei an Hotelpalästen wie dem legendären «La Mamounia» oder dem «Sofitel», wird unweigerlich das Gefühl haben, in eine andere Welt gestolpert zu sein. Breite Boulevards, französischer Kolonialstil, Shops, wie sie auch in Paris stehen könnten, und Marrakchi – wie die Bewohner genannt werden – mit Louis-Vuitton-Tragetasche in der einen und liebevoll verpackten Macarons aus der Dessertboutique in der anderen Hand. Auch das ist Marrakesch.
Ein Juwel
Gefragt nach den besten Küchen der
Welt, nannte Paul Bocuse die französische
(quelle surprise!), die chinesische und die marokkanische. Der Vater der Nouvelle Cuisine soll gerne im «La Mamounia» genächtigt und hier auch seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert haben. Für diese Institution unweit der Medina gilt: Sie ist eine wie keine. Bis heute setzt sie Standards, ist mehr ein Palast denn ein Hotel. Alleine die Gärten sind gut acht Hektar gross, und der Pool kann mit einem kleineren See mithalten. Sir Winston Churchill, Alfred Hitchcock oder Tom Cruise – die Ruhmes-Gästeliste ist lang. Das «La Mamounia» ist so etwas wie die Königsklasse im Königsstaat, eine perfekte Verschmelzung von berberischen und arabisch-andalusischen Einflüssen, an Opulenz nicht zu überbieten.
Olfaktorische Challenge
Opulenz – ein gutes Stichwort für Marrakesch. Das Bukett der Stadt hat eine addiktive Wirkung. Während Europas Innenstädte meist einfach nur neutral riechen, werden in Marrakesch nicht nur die Augen, sondern vor allem auch die Nase herausgefordert. Kümmel, Koriander, Ras-el-Hanout, Datteln, Mandeln, Honig, Rosenwasser und Zimt verströmen beim Gang durch die Märkte der Souks einen Geruch, als ob die Myriaden Tajines, die am Boden drapiert auf Käufer warten, gerade erst vom Herd genommen worden wären. Es ist der Rauch der Holzkohlegriller, der einen begleitet, wenn man die Dachterrasse des kleinen Gassenlokals mit den rohen Fleischspiessen in der Auslage besteigt. Es ist der Duft der Nana-Minze und der von Blätterteiggebäck, das junge Burschen auf ihren Dessert-Holzkarren durch die Gassen der Streetfood-Lokale am Djemaa El Fna schieben.
Herzstück
Und da ist er auch schon, der Djemaa El Fna oder kurz «La Place», wie die Einheimischen sagen, wenn sie Touristen – auch ungefragt – den Weg raus aus dem Gewirr der Souks weisen wollen. «La Place» ist einer der bekanntesten Marktplätze Afrikas, an ihm trifft sich schlichtweg alles und jeder; er ist ein Destillat des Unerschöpflichen, ein Freiluft-Varieté. Tagsüber tummeln sich hier die Schlangenbeschwörer und Henna-Künstlerinnen, abends ändern sich Publikum und Szenerie. Der Djemaa El Fna wird zum Streetfoodmarkt.
Lukullische Genüsse
Zur Rechten: die Boubbouche-Verkäufer, die ihre Schnecken in Brühe aus dampfenden XL-Töpfen um zehn Dirhams (nicht einmal ein Euro) feilbieten. Daneben als Haupt-Act: unzählige Mini-Restaurants, bei denen sich Bierbänke um die meist auf einem erhöhten Podest stehenden Köche – oft Köchinnen – gruppieren. Junge Männer in weissen Kitteln wedeln mit der Speisekarte in der Hand und geben zu verstehen, dass Harira (eine Suppe aus Linsen und Kichererbsen), Tajine, Grillspiesse und Couscous am Stand nebenan nur halb so gut schmecken. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz: Nirgends isst man so einfach und gleichzeitig so gut wie auf dem Markt, dicht an dicht gedrängt mit Backpackern und Foodies. Experimente sucht man hier gleichwohl vergebens. Das Fleisch schmeckt, wie es schmecken soll, das Tomaten-Relish, die scharfe Sauce und das Brot, das man in Marrakesch immer zum Essen reicht, sowieso. Es ist, wie es ist und immer schon war.
Schlaraffenland
Wer eine Neuinterpretation sucht, wird andernorts fündig. Gemüse muss nicht mehr kompromisslos vierzehn Stunden lang garen, und auch Frauen wagen sich an die Tajine. Gehuldigt wird der Küchenrevolution etwa im «Nomad», unweit des grossen Platzes am Gewürzmarkt gelegen. Hier gibt es – in französisch-maghrebinischem Stil mit einem Touch skandinavischer Kühle – zwar auch die typische Blätterteig-Pastilla, aber in einer leichteren Variante. Und so ist Marrakesch eine Art verwinkeltes Schlaraffenland mit Flüssen voller Minztee, Häusern aus Blätterteig und Palmen mit Datteln, in dem sich jeder nehmen kann, worauf er gerade Lust hat.
Hier finden Sie die besten Tipps und Adressen für Marrakesch.
Aus der Falstaff Jubiläums Ausgabe, erschienen im Dezember 2015