Das Fleisch von Kaninchen 
ist schmackhaft – aber kann man es mit gutem Gewissen essen?

Das Fleisch von Kaninchen 
ist schmackhaft – aber kann man es mit gutem Gewissen essen?
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Kaninchen ohne Bedenken?

Ihr Fleisch ist schmackhaft und gesund – dennoch lehnen viele ein Kaninchen auf dem Teller ab. Ob mit gutem Grund, hat Falstaff bei Experten nachgefragt. Und liefert eine überraschende Antwort.

Wenn der Herbst kommt und die Tage kürzer werden und das Wetter kühler, ist der ideale Zeitpunkt, um ein Kaninchen zu kaufen – und sich mit ihm einen schönen Tag lang in die Küche zu­­rückzuziehen. Denn es ist wohl das einzige Säugetier, das auch in einer normalen Küche komplett verarbeitet werden kann. Das Ergebnis ist ein abwechslungsreiches, köstliches Menü – und der Weg dorthin macht riesigen Spass.
Das Tier hat einen wunderbar feinen Eigengeschmack, der sich mit wenig anderem vergleichen lässt. Ähnlich wie Poulet ist es neutral genug, um zahlreichen Saucen und Gewürzen eine zarte Bühne zu bieten. Die saftig-fleischigen Hinterläufe lassen sich wunderbar im Ofen schmoren oder confieren. Der zarte Rücken ist perfekt geeignet, um kurz und rosa gebraten zu werden. Vorderläufe, Bauch und Kopf geben genug Fleisch für köstliche Rillettes, die Knochen sorgen für einen aromatischen Fond. Und für Innereien-Liebhaber ist Kaninchen sowieso ein Highlight.
Lange musste man als Kaninchen-Connaisseur damit leben, dass die Tiere meist nicht aus sehr tierfreundlicher Haltung stammten. In letzter Zeit aber hat sich einiges getan in der Kaninchenmast.
In ganz Europa haben engagierte Züchter und Mäster neue Systeme entwickelt, um den Tieren vor der Schlachtung ein schönes Leben zu ermöglichen. Es ist also höchste Zeit für eine Kaninchen-Küchen-Renaissance.

»Das Kaninchen ist ökonomisch sehr spannend. Ein Bauer kann leicht 52 Jungtiere pro Häsin und Jahr mästen – nur Bienen und Fische sind noch produktiver.«

Werner Zollitsch Professor für Nutztierhaltung, Wien

Christoph Fink füllt sein Kaninchen am liebsten klassisch mit einer Farce aus Foie gras und Spinat.
© Ian Ehm / Feldküche
Christoph Fink füllt sein Kaninchen am liebsten klassisch mit einer Farce aus Foie gras und Spinat.

«Besonders gut schmeckt Kaninchenfleisch mit Weisswein à la Coq au Vin oder in einer leckeren Roulade mit Wirz», schwärmt etwa Starköchin Sarah Wiener, die sich seit 2006 beim deutschen «Tierzuchtfonds» für artgemässe Tierzucht engagiert.

«Bei der konventionellen Kaninchenhaltung ist es wohl leider genauso wie bei der konventionellen Hühnerhaltung: Je dichter die Tiere gehalten werden, desto wirtschaftlicher der Ertrag», sagt Wiener. Deshalb empfiehlt sie vom Jäger geschossene Wildkaninchen oder den Direktkauf beim Bauern des Vertrauens.

Christoph Fink, einer der kreativsten Küchengeister Österreichs, geht das Kaninchen gern klassisch an: Er löst es aus und füllt den Rücken mit einer Farce aus den Vorderläufen, etwas Foie gras und blanchiertem Spinat. «Aufgeschnitten sieht das auf dem Teller prächtig aus. Der Geschmack des Tieres selbst ist für mich wie ein komplexeres Huhn», sagt er.
Und wen der Geschmack nicht überzeugt, für den ist das Tier mitunter aus gesundheitlichen Gründen interessant: «Kaninchenfleisch hat nur drei Prozent Fett und zahlreiche ungesättigte Fettsäuren», sagt Margit Bauer von «Bauer Kaninchenspezialitäten» im deutschen Hohenlohe und Kaninchenzüchterin seit 35 Jahren. «Es ist daher als Diätfleisch besonders gut geeignet.»

Artgerechte Haltung?

Traditionelle Gut-Esser wie die Franzosen, Spanier und Italiener wissen das Kaninchen von jeher zu schätzen: Auf den Märkten zwischen Sevilla und Rom ist es dort genauso selbstverständlich zu haben wie etwa Poulet, Schwein und Rind. Kaninchen gehört zum Standardprogramm auch in rustikalen Beizen. In Mitteleuropa aber hat es das Kaninchen nach wie vor ein wenig schwer. Einer der Gründe dafür hat paradoxerweise mit einem der grössten Vorteile des Kaninchens zu tun. «Das Kaninchen ist ernährungsökonomisch sehr spannend», sagt Werner Zollitsch, Professor für Nutztierhaltung an der Universität für Bodenkultur in Wien und «ein grosser Kaninchenverehrer», wie er von sich selber sagt. «Ein Bauer kann leicht 52 Jungtiere pro Häsin und Jahr mästen. Nur Bienen und Fische sind noch produktiver», sagt Zollitsch.

Zudem ist das Kaninchen kein Nahrungskonkurrent des Menschen, es frisst vor allem Grünfutter, Gras, Klee und Luzernen. Ähnlich wie eine Kuh aus reiner Weidehaltung frisst das Tier also, was Menschen nicht selbst direkt verdauen können, und macht daraus hoch­wertiges, relativ nachhaltig produzierbares Fleisch – bloss ist es dabei deutlich effizienter als das Rind: Um ein Kilo Kaninchen zu mästen, braucht es gerade einmal etwa drei Kilo Futter. Aus all diesen Gründen war das Kaninchen in der Nachkriegszeit vor allem in Österreich und Deutschland weit verbreitet: In jedem Schrebergarten und auf vielen Balkonen stand ein Kaninchenstall. Den Ruf des Arme-Leute-Essens ist es bei der älteren Generation bis heute nicht ganz losgeworden. Jüngere Esser wiederum sorgten sich um das Wohl der Tiere – bisher oft zu Recht. «Das Kaninchen ist sicher eines der am problematischsten gehaltenen Nutztiere», sagt Zollitsch. «Auch die kleinbäuerliche Haltung ist meist kein Kaninchenparadies.» 
Oft wird Kaninchenfleisch von sehr weit her importiert – in Europa ist etwa Fleisch von chinesischen Angora-Kaninchen zu haben. Die kastrierten Rammler werden eigentlich wegen ihres Fells gehalten. «Das ist qualitativ minderwertige Ware», sagt der Tierhaltungsexperte Werner Zollitsch, «wer einmal so etwas serviert bekommt, ist als Kaninchenesser verloren.»

Anton Sommer hat ein Bodenhaltungssystem für die Kaninchenzucht entwickelt.
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Anton Sommer hat ein Bodenhaltungssystem für die Kaninchenzucht entwickelt.

In manchen EU-Ländern ist die Käfighaltung mittlerweile verboten, grosse Supermärkte warfen Kaninchen aus Käfighaltung aus dem Programm. Auch in der Schweiz gibt es für Kaninchenzüchter und -mäster gesetzlich vorgeschriebene Mindeststandards, die eine Käfighaltung quasi ausschliessen. Tierfreundliche Haltung wird zudem vom Bund gefördert – mit den zwei Programmen BTS («Besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme») und IP-SUISSE. «Knapp vierzig Betriebe sind Teil des BTS-Programms, das für die Zucht und Mast eine Gruppenhaltung im Stall vorsieht», erklärt Lotti Bigler vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Sie empfiehlt daher, beim Kauf auf diese Labels zu achten. Freilandhaltung auf kommerziellem Niveau gibt es so gut wie nicht, «weil derzeit kein wirtschaftlich praktikables System bekannt ist», sagt Bigler.

Ein Pionier ist der Österreicher Anton Sommer, der über dreissig Jahre Kaninchen gemästet hat. Gemeinsam mit der Wiener Veterinärmedizinischen Universität entwickelte er ein Bodenhaltungssystem: Die Tiere haben hier auf mehreren Ebenen Platz zum Hoppeln, Rückzugs- und Versteckmöglichkeiten. Zuchthäsinnen, die sonst immer in Einzelhaft gehalten werden, dürfen dabei so lange wie möglich ebenfalls in artgerechten Gruppen leben. Die Tierschutzorganisation «Vier Pfoten» überprüfte und zertifizierte das Haltungssystem. Seit eineinhalb Jahren mästet die ungarische Firma Tetrabbit nach Sommers Vorgaben. «In Österreich war das aus wirtschaftlichen Gründen nicht machbar», sagt er. «In der ungarischen Anlage werden die Kaninchen geboren, gemästet und geschlachtet, alles aus einer Hand», sagt Sommer, «die Ungarn sind damit die Einzigen in Europa, die das tiergerecht in grossem Massstab machen.»

Sommer ist überzeugt: «Kaninchen ist zwar noch ein Nischenprodukt, aber der Markt wird langsam, aber stetig grösser.»
(aus dem Falstaff Magazin 06/2016)

Nicht nur der Geschmack des Fleisches begeistert – es ist auch besonders gesund. Nun wird endlich auch vermehrt auf eine artgerechte Haltung geachtet.

Tobias Müller
Autor
Julia Staller-Niederhammer
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