Jenseits des Grand Cru
Die Bezeichnung des Pinot Noir wird im Wallis heute inflationär verwendet. Daher kehren ihr viele Winzer des Dorfs den Rücken zu und setzen auf Spezialitäten und Autorenweine.
Oben schneit, unten regnet es. Während Zermatt im Schnee versinkt, hat der Regen in Salgesch auch die letzten weissen Flecken weggespült. Weltuntergangsstimmung herrscht im 1450 Seelen zählenden Winzerdorf deshalb keine: In vielen der rund vierzig Winzer- und Weinhandelsbetrieben, die auf 192 Hektaren und auf kalkreichen Böden in einer vielstufigen, imposanten Arena Rebbau betreiben, ist trotz eines mengenmässig desaströs ausgefallenen Jahrgangs 2017 (Frost!) eine Aufbruchstimmung zu spüren. Den meisten Kellereien geht es gut. Die Weine verkaufen sich zufriedenstellend.
Den Grundstein zu dieser erfreulichen Gegenwart legte vor dreissig Jahren die Einführung eines für die damalige Zeit rigorosen Grand-Cru-Reglements für den Pinot Noir, der dominanten Sorte in den Salgescher Rebbergen. Die Parzellen mussten vorgängig deklariert werde. Der Ertrag wurde auf 800 Gramm pro Quadratmeter beschränkt. Es galt, die Hürde von 92 Grad Öchsle zu nehmen. Und um die salgesch-typische, würzige Pinot-Frucht möglichst unverfälscht in die Flasche zu bringen, durfte der Wein nicht im Holz ausgebaut werden. Schliesslich musste sich der Pinot Noir nach der Abfüllung dem Urteil einer externen Degustationsjury stellen. Erst wenn dieses positiv ausfiel, erhielt er die einheitliche Grand-Cru-Etikette – das Malteserkreuz des Gemeindewappens. Der Name des Produzenten verschwand derweil auf die Rücketikette. 12 bis 14 Betriebe waren das jeweils, während ein bis zwei Betriebe pro Jahrgang abgelehnt wurden.
Die Einführung (noch vor der Etablierung einer kantonalen AOC) war eine Pionierleistung. Sie schweisste die Winzer des Dorfes zusammen und verschaffte dem Salgescher Pinot Noir einen Qualitätsschub, was sich wiederum heilsam auf das damals etwas ramponierte Image des Salgescher Weins auswirkte. Heute freilich scheint der Salgescher Grand Cru ein Auslaufmodell zu sein – oder wie es der Winzer Olivier Mounir (Cave du Rhodan) in Anlehnung an eine Studie etwas gestelzt ausdrückt: Er scheint «am Ende seines Produktelebenszyklus» angelangt zu sein.
«Der Wechsel von der Flaschen- auf die Tankprobe öffnet der Qualitätsver-wässerung Tür und Tor.»
Jürg Biber,Weingut Cave Biber
Der Gründe dafür sind viele. Matchentscheidend war wohl die kantonale Einführung einer Grand-Cru-Linie mit Gemeindebezeichnung in einer einheitlichen Walliser Flasche mit Grand-Cru-Gravur, zu der auch die Salgescher wechseln werden müssen. Das Rebsortenspektrum wurde dabei geöffnet, die Eintrittsbedingung erleichtert. Besonders stossend finden die Salgescher, dass die Weinqualität nun anhand eines Tankmusters und nicht mehr anhand eines Flaschenmusters getestet wird. «Das öffnet der Qualitätsverwässerung Tür und Tor», sagt Jürg Biber, der künftig – wie Amédée Mathier (Albert Mathier) und Olivier Mounir – die Erzeugung eines Salgesch Grand Cru einstellen wird. Philippe Constantin von der Cave St. Philippe, wie Amédée Mathier ein Mitstreiter der ersten Stunde, nennt darüber hinaus das Auftauchen von Salgescher Grands Crus beim Grossverteiler wie Coop «einen Sündenfall». Das hat ihn dazu bewogen, den Weintypus in Zukunft unter einem anderen Namen zu vermarkten.
Als einer der einzigen Salgescher Winzer steht Patrick Z’Brun von den Domaines Chevaliers noch zum Grand Cru. Ihr Reglement sei nach wie vor das restriktivste im Kanton, auch wenn es «von der allgemeinen Qualitätsrevolution, man denke nur an die Ertragsbegrenzung von 800 Gramm, überholt wurde». Zudem zeige allein schon der stabil gebliebene Verkaufspreis von 25 Franken den gesunkenen Stellenwert. «Trotzdem bleibe ich beim Grand Cru, allein schon seiner fürs Dorf wichtigen Geschichte wegen, stufe ihn allerdings in die Traditionslinie zurück.»
Der Bedeutungsverlust des Pinot Noir Salgesch Grand Cru ist nun allerdings kein weltbewegendes Unglück, ganz im Gegenteil. Er lässt die Winzer mit anderen Weinen brillieren. Bei Diego Mathier (Nouveau Salquenen), dem Platzhirsch des Dorfes, dessen Wettbewerbsdiplome mittlerweile das
Treppenhaus bis zu den Toiletten hinunter tapezieren, frappiert jedes Mal von Neuem die bullige Kraft, gepaart mit einem schier unwiderstehlichen Charme, mit denen er seine neuen Projekte vorstellt: etwa die noch im Holz schlummernden, in ihrer stoffigen Tiefgründigkeit höchst vielversprechenden Weine (Pinot Noir, Syrah) der Domaine Folie in Sion. Schwierig, sich seinem Charisma zu entziehen und die Begeisterung nicht kritiklos zu teilen.
Sein Namensvetter Amédée Mathier sorgt mit seinen weissen und roten Naturweinen aus den im Erdreich vergrabenen georgischen Tonamphoren für Furore, die nach gebührendem Karaffieren mit ihrer aromatischen Komplexität auch Leute beeindrucken, die der Naturweinmode skeptisch gegenüberstehen. Überzeugend auch seine klassischen Weine, die finessenreiche weisse und rote Assemblage der Domaine Ravoire bei Ley-tron und die sortenreinen Spezialitäten der Vinum-Lignum-Linie. Dichte paart sich hier mit Präzision.
Olivier Mounir hat seine Cave du Rhodan in den letzten Jahren zu einem Vorzeige-betrieb entwickelt. Klug und vorausschauend arbeitet er teilweise mit biodynamischen Methoden und gibt sich darüber durchaus selbstkritisch Rechenschaft. Seine Weine sind frisch, geradlinig, eher unspektakulär und stets sortentypisch. Mit der Domaine Trong hat er einen perfekten Standort für den spätreifenden Cornalin gefunden – ein Versprechen.
Philippe Constantin ist der selbsteinkellernde Winzer par excellence. Er kennt jeden Rebstock persönlich, findet für jede Sorte den passenden Standort. Seine Gewissheiten vertritt er mit der Eindringlichkeit eines Wanderpredigers. Seine besondere Liebe gehört dem Pinot Noir, dem er in vier verschiedenen Varianten die Reverenz erweist. Daneben erzeugt er auf fünfzig Prozent seiner Fläche weisse und rote Spezialitäten wie Heida oder Cornalin. Constantin liebt Weine «mit einem ausgeprägten Weichteil». Seine Devise heisst: «Sich selber treu bleiben und ehrliche Weine erzeugen. So kann man viel erreichen.»
François Kuonen von Gregor Kuonen (Caveau de Salquenen) kann man sich ebenso gut auf der Zermatter Skipiste wie hinter einem Stand einer Weinmesse vorstellen. Er ist mit allen Wassern des Weinverkaufs gewaschen, erfahren, eloquent und charmant. Zusammen mit Stiefsohn Patrick Revey und seiner Tochter Larissa, der Kellermeisterin, verfügt er über ein breites, solides, schwer überblickbares Sortiment. Gregor Kuonen hat in Sorten wie Merlot oder Cabernet Franc diversifiziert. Ein neuer Keller soll dem währschaften Betrieb neuen Schub verleihen.
Jürg Biber war Kellermeister der Rebbaugenossenschaft Oberhofen am Thunersee, bevor er 2004 den Betrieb von René Mathier kaufte. Den Pinot Noir beurteilt er angesichts der Klimaerwärmung zurückhaltend. In den heissen, trockenen Lagen von Salgesch bevorzugt er Cornalin und Cabernet Franc. Für entscheidend hält er eine perfekte phenolische Reife der Trauben – er erntet sie deshalb meist als Letzter im Dorf. Seine charaktervollsten Weine haben einen ausgeprägten Spätlesecharakter mit Dörrfruchtaromen und einen satten Alkohol-gehalt: keine Weine für Beckenrandschwimmer.
Das traditionsreiche Weingut Vins des Chevaliers wurde kürzlich in Domaines Chevaliers umgetauft. Besitzer Patrick Z’Brun signalisiert damit eine Neupositionierung: weg vom Mainstream an die Spitze. Das Sortiment wurde verkleinert und mithilfe des kunst-sinnigen Genfer Önologen Christian Gfeller die neue Toplinie «Lux Vina» geschaffen. Es sind sieben virtuose, holzgeprägte Weine – Petite Arvine, Cornalin, Pinot Noir, Syrah, weisse und rote Assemblagen und eine Grains Nobles – für die hohe Gastronomie sowie eine neugierige und vermögende Klientel. Trotz ihres modischen Charakters besitzen sie Walliser Stallgeruch und öffnen Salgesch vielleicht neue Horizonte.