Edel-Start-ups: Nur keine Konventionen

Neu, aufregend, anders: ­Zürich befindet sich kulinarisch im ­Umbruch.

Zwei Schneidbretter, zwei Küchenmesser. »Damit haben wir angefangen«, sagt Séverine Linda Götz heute über den Start von »Martha’s Salad«. »Und damit haben wir die ersten Rüebli geschnitten«, ergänzt Sabrina Zbinden, ihre Geschäftspartnerin im neuen Food-Unternehmen, das Firmen seit Kurzem mit frischen, knackigen, gesunden Salaten und Suppen versorgt. Ihre ersten Kunden ­waren ihre Exkollegen aus der PR-Agentur, in der sich die jungen Frauen kennenlernten. Über die Phase, in der die beiden morgens um fünf zum Gemüsemarkt fuhren und alle Gerichte selbst herstellten, sind Séverine und Sabrina nach anderthalb Jahren längst hinaus. Ihr Start-up funktionierte schnell. »Ein junger Top-Koch hat tolle Rezepte für uns entwickelt, und nun können wir uns über mangelnde Nachfrage nicht beschweren«, freut sich das Duo. Ganz im Gegenteil! Neben dem Lieferservice für Büros und dem kleinen Take-away im trendigen Kreis 4 gibt es »Martha’s ­Salad« jetzt auch im feinen Zentrum von ­Zürich. Dort haben sie im Talacker einen Marktstand aufgebaut, an dem mittags die Kunden Schlange stehen.

Zürich goes Streetfood! Mobile Restaurants erobern die urbane Landschaft. Food- Trucks setzen überraschende Zeichen im Stadtbild. Und neue Gastrokonzepte verändern das gewohnte Bild der Ausgehgesellschaft. Ein Trend, der schon vor Jahren in New York und London auffiel, ist endlich auch an der Limmat angekommen. Pop-up-Restaurants eröffnen mal hier, mal dort. Steife Tischsitten haben ausgedient, und »Healthy food« setzt sich endlich auch bei den Schnellimbissen durch.Salate – auch für MännerGerade mittags bleiben heute viele traditionelle Restaurants leer, weil es sich längst herumgesprochen hat, dass kohlenhydratreiche Kost wie Nudeln mit Rahmsauce zwar satt, dafür aber auch müde macht. Deshalb haben jetzt Läden wie die »Gärtnerei« riesigen Erfolg. Auch sie setzen auf gesunde Gourmet-Salate und Suppen, achten aber darauf, dass sie auch Männer mit ihrem besonderen Angebot erreichen. Maaike von Stuckrad, als Köchin Chefkreative seit der ersten Stunde, komponiert Salate mit einem hohen Anteil an Eiweiss. Das macht satt und sogar Bürohengste glücklich. Das Konzept, »was mit Grün« im schlicht-modernen Interieur anzubieten, das auch gluten- und laktosefrei ist sowie Vegetarier und Veganer anspricht, kommt im Züricher Mittagsgeschäft extrem gut an. Der zweite Laden unweit der noblen Bahnhofstrasse ist schon etabliert, ein Ableger hat im Sommer in Bern eröffnet, und mit einem Food-Truck wird die Gärtnerei sogar mobil. Durch ihr Social-Media-Profil wissen Fans jederzeit, wo die »Gärtnerei« anrollt.

Die Produkte des ersten ­vegetarischen Metzgers der Schweiz finden reissenden Absatz. / Foto: Brigitte JurczykAuch das »Hiltl«, ein Veteran der grünen Szene und das älteste vegetarische Restaurant der Welt – 1898 von Ambrosius Hiltl gegründet –, macht vor, wie man neue Trends im Gastrokosmos setzt. Ob im Hauptlokal an der Sihlstrasse oder in den Filialen der gesunden Fast-Food-Kette »Tibits«, die Hiltl zusammen mit den Brüdern Daniel, Christian und Reto Frei betreibt: Gemüse gibt den Ton an, die Selbstbedienungstheken locken mit einem riesigen Angebot von bis zu 100 verschiedenen kalten und warmen vegetarischen Speisen. Vieles ist bio, Nachhaltigkeit Trumpf. Jetzt überrascht das Zürcher Unternehmen mit einem neuen Coup: der ersten vegetarischen Metzgerei der Schweiz. Cordon bleu, Tatar, Würstchen und Geschnetzeltes aus Tofu, Seitan, Tempeh und Paneer finden reissenden Absatz. In den Kühltheken gibt es zudem ein breites Angebot an fertigen Suppen und Pürees, abgepackten vegetarischen Wurstwaren und sogar Noix gras: Nach jahrelangem Tüfteln hat Tobias Buholzer, der bis Mitte des Jahres mit dem »Müns­terhof« im Kreis 1 eines der wenigen Michelin-Stern-gekrönten Restaurants in Zürich führte, eine Art vegetarische Foie gras entwickelt, die ihrem phonetisch ähnlichem Vorbild geschmacklich und auch in der Konsis­tenz erstaunlich nahekommt, ohne dabei auch nur einer Gans ein Haar zu krümmen.

Vegetarisch – das Wort schreiben sich Nuria Furrer und ihr Freund Sergio Rodriguez nicht auf die Fahnen bzw. auf die Karte. Die beiden jungen Züricher sind viel und weit gereist. »Und immer, wenn wir wieder zu Hause gelandet sind, ist uns aufgefallen, dass es so etwas nicht bei uns gibt!«, sagt Nuria und ist irgendwie immer noch selbst erstaunt. Mit »so etwas« meint sie zum Beispiel richtig leckere Sandwiches, aber vor allem das original New-York-Style-Pastrami. Das Einzige der Stadt gibt es jetzt bei »Good to go« einem »delicious Take-away« im Herzen der City, das die beiden in einem kleinen, aber schmucken Altstadtladen eröffnet haben. Da kommt richtig viel Rindfleisch zwischen zwei Scheiben geröstetes Sauerteigbrot. Und zwar nicht irgendeins, sondern hauchdünn aufgeschnittenes, in einem langwierigen Prozess gepökeltes und geräuchertes Fleisch aus der Schulter. »Wir haben lange gesucht, bis wir den richtigen Metzger gefunden hatten, der uns das in der gewünschten Qualität herstellt«, sagt die Journalistin Nuria. Und auch das Brot ist vom Feinsten – von John Baker, einem der besten Biobäcker an der Limmat.

Lange Schlangen vor dem »Palestine Grill«
Solche Gourmet-Take-aways bereichern die Gastroszene Zürichs und setzen erfolgreich ein Zeichen gegen McDonald’s und Co. Mit seinem »Palestine Grill« hat Sami Khouri, hier aufgewachsener Sohn palästinensischer Christen, schnell eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte geschrieben. Nachts bilden sich schon mal lange Schlangen vor seinem bunten Imbiss in der Langstrasse: Falafel, ­Sabich oder Shish Taouk – die traditionellen ­levantinischen Speisen, auf hohem Niveau frisch zubereitet – kommen gerade bei einem jungen Publikum gut an. Sein «Friedensteller« ist der Renner an seiner bis Mitternacht geöffneten Theke und im Übrigen eine gesunde und köstliche Alternative zu Pommes, Hotdog und Co. Dass sich auch kleine Läden ohne die Rückendeckung einer Kette erfolgreich auf dem Markt etablieren, zeugt von dem sich wandelnden Anspruch der Konsumenten. Darauf setzt auch ein Big Player wie die Warenhauskette Globus. Diese eröffnete im Oktober mit ihrer Lebensmittelabteilung Delicatessa auf 1700 Quadratmetern ein wahres Schlaraffenland für anspruchsvolle Gourmets – mit einer Palette von regionalen wie international produzierten Spitzenprodukten von Käse und Kaviar bis hin zu einem Traiteurbereich, der ein wahres Paradies für Feinschmecker darstellt.

Chefkoch des »Maison Manesse«: Fabian Spiquel / Foto: Brigitte JurczykUnd auch bei den Gourmetrestaurants Zürichs zeichnet sich ein neuer Trend ab, ­geradezu eine Revolution. Das »Maison ­Manesse« ist da ein erfreulicher Vorreiter. Chefkoch Fabian Spiquel aus Australien kocht auf absolutem Sterne-Niveau, aber das Prozedere ist in dem ausgesprochen hübsch-leger designten Gourmettempel ein anderes. Das fängt schon dabei an, dass es keine weissen, gestärkten Tischtücher gibt und dass die Gäste geduzt werden. Das Zauberwort heisst Fine Dining ohne Etikette. Geschäftsführer, Sommelier und leidenschaftlicher Gastronom Miguel Ledesma hortet zwar 400 Top-Weine im Keller, hält aber keine Vorträge, bevor er sie ins Glas laufen lässt.

Zum Konzept des »Maison Manesse« gehört auch, dass es keine Starter, keine Hauptgänge, keine Desserts gibt, sondern nur ganze Menüs, die nach Musiktiteln benannt sind. Kurz nachdem das Ausnahmerestaurant im Sommer 2013 eröffnete, war es in aller Munde. »Es war von Anfang an ein Passionsprojekt«, sagt Miguel Ledesma und serviert den Züricher Hedonisten ein kulinarisches Erlebnis –  aber ohne Chichi und überflüssigen Luxus.

Text von Brigitte Jurczyk aus Falstaff Schweiz 01/15

Brigitte Jurczyk
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