Das Weingut am Steinig Tisch wird von Roman Rutishauser in dritter Generation geführt.

Das Weingut am Steinig Tisch wird von Roman Rutishauser in dritter Generation geführt.
© Roman Rutishauser

Die Wehrhaften: Schweizer Piwi

Die letzten Weinjahrgänge waren turbulent: Hagel, Frost und ein hoher Krankheitsdruck forderten die Winzer – und ihre Reben. Neue, pilzwiderstandsfähige Sorten scheinen mit den klimatischen Herausforderungen der letzten Jahre besser zurechtzukommen als klassische Varietäten. Das sorgt für Bewegung in der Szene.

Roland Lenz hat Ende August die ersten Trauben des Jahrgangs 2022 geerntet. Es handelt sich um Trauben der Sorte Solaris, gesund und schön reif, berichtet er uns. Solaris ist eine der zahlreichen sogenannten pilzwiderstandsfähigen Rebsorten, die Lenz auf seinem Weingut im thurgauischen Uesslingen kultiviert.

Genetisch sind diese Rebsorten im Gegensatz zu bekannten Europäersorten, zu denen im Grunde alle weitläufig bekannten Rebsorten gehören, gegen die schlimmsten Feinde des Weinbaus abgesichert: den Echten und den Falschen Mehltau. Diese zwei Pilzkrankheiten sind fähig, ganze Weinernten zu vernichten. Wie mächtig sie sind, liess sich im letzten Jahr beobachten, als immense Niederschlagsmengen während der Vegetationsperiode ihr Wachstum begünstigten und die Schweizer Winzer grosse Teile ihrer Ernte verloren.

Auch Lenz erntete weniger, aber immerhin 65 Prozent, was er auf die Widerstandskraft der pilzwiderstands­fähigen Rebsorten zurückführt. Bei den klassischen Europäersorten, die er in kleinem Masse auch noch anbaut, sah es ganz anders aus, erzählt er uns. «Pilzwiderstandsfähige Rebsorten erleichtern uns Winzern das Leben hinsichtlich des Echten und Falschen Mehltaus. Aber es braucht noch andere Eckpfeiler, wenn man einen Kreislauf konstruieren will, in dem die Natur ein wichtiger Mitarbeiter ist. Hier ist Diversität der Schlüssel», berichtet Lenz.

Er meint damit die Abkehr von der Mono­kultur, die Rebberge in nahezu hundert ­Prozent sind. Lenz legt seine Rebanlagen heute so an, dass sich Rebstöcke und Biodiversitätsstreifen mit heimischen Büschen oder Obstbäumen wie Apfel oder Pfirsich abwechseln. «Wenn wir eine vier Hektar grosse Parzelle haben, sind da sicher zwölf verschiedene Rebsorten drauf, abwechselnd gepflanzt mit Biodiversitätsstreifen. So können wir den Pilzdruck auf nahezu null reduzieren», erzählt Lenz.

Diversität spielt auch bei der Widerstandsfähigkeit der Piwi-Sorten an sich eine wichtige Rolle. Die Genetik sei dank des Einbringens von asiatischen und amerikanischen Wildreben in die Züchtung bedeutend vielfältiger als bei den Europäerreben, weshalb sie viel breiter abgestützt seien. Durch Züchtung sieht Lenz zudem die Möglichkeit, Rebsorten an die Herausforderungen des Klimawandels anzupassen. Zusammen mit dem Rebzüchter Valentin Blattner aus Soyhières und dem Rebschulist Philipp Borioli aus Bevaix züchtet er so neue, robuste Sorten, die nicht nur den genannten Pilzkrankheiten trotzen, sondern auch im Frühjahr später austreiben, um Frostschäden zu vermeiden.

Ausserdem sollen sie mit Trockenheit besser umgehen können. «Wenn sich die Sorten dann noch in der Mikrovinifikation bewähren und gute Weinqualitäten hervorbringen, sind wir auf dem richtigen Weg», berichtet Lenz. Ende dieses Jahres, erzählt er uns, erscheinen einige neue Sorten, die genau diese Attribute innehaben. Also für die Zukunft gewappnet sind.

Eine Frage des Stils

In der Kritik standen die Piwi-Sorten bei gestandenen Weinkennern in den letzten Dekaden vor allem wegen der Weinqualität und Stilistik. Weniger bei den weissen Sorten – so wie Lenz’s Handwerk Weiss 2021, mit dem er bei der diesjährigen Falstaff ­Piwi-Trophy auf dem dritten Platz landete – als bei den roten, denen es oftmals an Struktur, insbesondere an hochwertigem Tannin fehlte.

«Entscheidend hierbei ist das Alter der Rebstöcke. Viele der Piwi-Anlagen sind einfach noch zu jung, um ­tiefgründige Weine liefern zu können. Letztlich sind die Sorten ja auch noch nicht so alt», berichtet Lenz. Er selbst setzt deshalb seinen Piwi-Rotweinen einen Teil angetrockneter Trauben zu, um den Weinen noch mehr ­Gehalt zu verleihen, und füllt sie grösstenteils als Cuvée ab, um das Maximale aus allen Sorten herauszuholen.

Auf vielversprechende rote Piwi-Sorten angesprochen, nennt er Prior, Laurot und Cal 1-28. Letztere eine Kreuzung von Valentin Blattner, die charaktervolle und tiefgründige Weine hervorbringt – so wie den Sieger der diesjährigen Falstaff Piwi-Trophy. Dieser kommt aus der Ostschweiz und wurde von Roman ­Rutishauser vom Weingut am Steinig Tisch gekeltert.

Auch auf ­Rutishausers ­Weingut werden seit vielen Jahren ­Piwi-Rebsorten kultiviert, wobei der Fokus nicht auf ihnen liegt. Zur Cal 1-28 kam Rutishauser durch Zufall, erzählt er uns, als er die Parzelle im Jahr 2015 von einem Hobbywinzer angeboten bekam. Ein Jahr später versuchte er sich zum ersten Mal an der Sorte im Keller: Maischegärung, Ausbau im Stahltank, Misserfolg. «Eigentlich wollte ich die Rebsorte dann roden, aber irgendwie hat es mir keine Ruhe gelassen», berichtet Rutishauser.

Im Jahr drauf brachte er das kleine Holzfass ins Spiel. Der richtige Weg, den er beim Jahrgang 2018 noch etwas optimierte. Zwei Jahre verbrachte sein 2018er Cal 1-28, Siegerwein der Falstaff-Trophy, im neuen und anschliessend noch ein Jahr im gebrauchten Holzfass. Eine Vorgehensweise, die der Sorte zu stehen scheint. Wie Lenz ist auch Rutishauser davon überzeugt, dass die Sorte grosses Potenzial hat. Vor allem auch auf den Aspekt Nachhaltigkeit bezogen, denn Rutishauser musste die Parzelle noch nie spritzen. Das schont Ressourcen und ist schlichtweg nachhaltig.

Widerstandsfähig und nachhaltig

Diederik Michel vom Weingut ­Diederik am Zürichsee setzte bei seiner DW ­Projektskizze No. 1/2020 ebenfalls auf den Ausbau im Barriquefass. Der Wein aus der weissen Piwi-Züchtung Souvignier Gris schnitt bei der diesjährigen Falstaff-Piwi-­Trophy ebenfalls hervorragend ab und verbrachte ein Jahr im kleinen Holzfass, um zu reifen. «Für mich liegt Souvignier Gris irgendwo zwischen Chardonnay und Pinot Gris. Beide Sorten eignen sich, finde ich, wunderbar für den Barriqueausbau, und deshalb hab ich es mal mit dem ­Souvignier Gris im Barrique versucht», erzählt Michel.

Ein Erfolg, denn Michel arbeitete 2020 zum ersten Mal überhaupt mit der Sorte. Damals kaufte er noch einen Grossteil der Trauben, die sich im Wein wiederfinden, von einem Kollegen, denn seine eigene Souvignier-Gris-­Parzelle hatte er erst kurz zuvor angepflanzt. Auf diese Trauben zurückgreifen zu können, war für ihn ein grosses Glück, sagt er selbst, denn so hatte er direkt die ­Chance, einen Wein aus der Sorte keltern zu können und sich mit ihr auszuprobieren.

«Im Anbau bin ich äusserst zufrieden mit ihr. Sie ist sehr widerstandsfähig und wir müssen deutlich weniger spritzen als bei klassischen Sorten. Selbst im letzten Jahr, das sehr schwierig war, ging es mit der Sorte gut. Ich hatte 90 Prozent Ertrag, bei den klassischen Sorten war das keinesfalls so», berichtet Michel. Genau dieser Aspekt, also die Krisensicherheit der Piwi-Sorte, führte in diesem Jahr dazu, dass sich immer mehr ­Winzer mit den Neuzüchtungen auseinandersetzten.

«Seit dem letzten, schwierigen Jahr tut sich etwas im Piwi-Bereich», weiss Roland Lenz, der auch als Präsident des Vereins Piwi-Schweiz tätig ist. «Unseren Praktikertag hätten wir dreimal füllen können. Von den Rebschulen hören wir ausserdem, dass die Piwi-Sorten in diesem Jahr so schnell ausverkauft waren wie noch nie und es unzählige Vorbestellungen gibt.» Auch der Staat wird den Anbau der ressourcen­schonenden Piwi-Sorten künftig wohl finanziell unterstützen. Zumindest liess dies Bundesrat Guy Parmelin bei seinem Besuch auf Lenz’ Weingut vor einigen ­Monaten verlauten. Ein wichtiger Schritt in Richtung ressourcenschonender Weinbau, der bei Lenz, Michel, Rutishauser und vielen weiteren Schweizer Weingütern bereits begonnen hat.


Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2022

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