© Beat Steffen 2017

City Snackers: Tour durch Zürichs Kulinarikszene

Jedes Jahr sperren rund 180 neue Restaurants in Zürich auf. Wo man die besten findet? Zum Beispiel auf einer Genusstour mit jenem Mann, der die Kulinarikszene der Stadt besser kennt als jeder andere.

An den Strassenecken stehen kleine Gruppen von Punks, Rockern und feiernden Studenten, zwischen den türkischen Imbissen und Cafés liegen Bars mit Namen wie »Red Rose Cabaret« oder »Männerzone« – die Langstrasse ist nicht Zürichs vornehmste Ecke. Die Gruppe, die Georg Twerenbold hier durchführt, passt nicht so recht ins Bild: lauter gut angezogene Männer und Frauen zwischen 40 und 60, Marketingchefs, Unternehmer, ein Schweizer-Armee-Offizier. Twerenbold bleibt mit ihnen vor einem Ecklokal stehen, über dessen Türe verhältnismässig harmlos «Zum Krokodil» steht. «Wir sind da», sagt er, «hier gibt es Zürichs beste Ravioli.»
Twerenbold, gross, stark, Typ freundlicher Bär, weiss, wovon er spricht – kaum einer kennt sich in Zürichs Kulinarikszene so gut aus wie er. Er ist gelernter Koch und hat jahrelang in Restaurants von Fastfood bis 17 Gault-Millau-Punkten gearbeitet, dann gründete er mit einem Kollegen den «Best of Swiss Gastro Award» und machte daraus in kurzer Zeit einen der angesehensten Branchenpreise der Schweiz. Seit ein paar Jahren können nun auch Laien von seinem Wissen profitieren: Twerenbold führt Interessierte auf speziellen kulinarischen Touren durch die Stadt.
«Die Langstrasse ist nur etwa einen Kilometer lang, trotzdem gibt es hier über 100 Lokale», erklärt er seinen Zuhörern. Die Gegend rundherum war lange eine verrufene Ecke: Sie ist immer noch das Herz des Zürcher Rotlichtmilieus, bis in die 1990er-Jahre traf sich hier zudem eine der grössten offenen Drogenszenen der Welt. Als die Polizei dann 1992 die Junkies verdrängte, entwickelte sich die Langstrasse langsam zu einem Szene- und Ausgehviertel, zwischen den Rotlichtläden finden sich einige der angesagtesten Bars und Clubs der Stadt. Und seit ein paar Jahren zieht es immer mehr junge, aufstrebende Gastronomen hierhin.

Die besten Ravioli der Stadt

«Die Mieten und Auflagen sind sehr hoch in Zürich, wer nicht ein sehr grosses Startkapital hat, muss oft kreativ sein, wenn er ein Restaurant aufsperren möchte», erklärt Twerenbold seiner Gruppe. Die aktuellen Betreiber des «Krokodils» etwa haben die alte Gastwirtschaft vor zwei Jahren übernommen und das Interieur nur zart verändert. Das Ambiente ist bunt, und die Ravioli sind sensationell. Gastronomische Touren gibt es mittlerweile in fast jeder Stadt, doch Twerenbolds Führungen sind ungewöhnlich: Er geht mit seinen Gästen meist nicht zu Snackständen oder auf Märkte, sondern nimmt sie mit auf eine Tour durch seine liebsten Bars und Restaurants. Über den Abend verteilt besucht er mindestens vier, meist fünf bis sechs verschiedene Lokale, überall gibt es einen Happen oder einen Gang zu probieren – so erwandern sich die Teilnehmer über den Abend verteilt ein ganzes Menü. Dazu erzählt Twerenbold interessante Hintergründe über die Zürcher Gastronomie – gespeist aus seinem enormen Wissen.

Jedes Jahr 180 neue Restaurants

Er kann erzählen, wie hoch die Mietpreise in den neuen schicken Vierteln der Stadt sind (2000 Franken pro Quadratmeter und Jahr) und wie viele Restaurants jedes Jahr auf- (etwa 180) und wieder zusperren (etwa 120). Er weiss, wo die spannendsten Jungköche gerade neue Läden eröffnet haben und wie man eine Reservierung bekommt, er kennt Anekdoten, wie jene vom Kaffeebohnen-Graffiti, das Interessierten im 17. Jahrhundert anzeigte, wo sie die damals in Zürich verbotene Bohnen kaufen konnten; und er ist gefühlt mit jedem Wirt, jedem Koch, jeder Kellnerin persönlich befreundet, sodass der Empfang der Gruppe bei den Gastgebern stets äusserst herzlich ausfällt.
Normalerweise sind Twerenbolds Touren nur für private Gruppen buchbar – zur FOOD ZURICH aber bietet er öffentliche Rundgänge mit sechs verschiedenen Themen an, der Spass kostet zwischen 65 bis 190 Franken pro Person – die reichhaltige Verpflegung und die Drinks inklusive. Twerenbold verändert seine Wanderungen ständig, je nachdem, wer mit ihm geht. Heute geht es los in der gemütlichen Bar des «Hotel Schweizerhof» mit einem Züri Mule, gemixt aus lokal gebrautem Gin; den Aperitif nimmt die Gruppe im «Hatecke», einem Laden, der das vielleicht beste handwerklich hergestellte Bündnerfleisch verkauft und mehr wie ein Juweliers, denn wie eine Metzgerei aussieht. Die Ravioli im «Krokodil» sind der erste Gang. Für den Hauptgang sind zwei Hinterzimmer in einem alteingesessenen Zürcher Restaurant reserviert, das schon im Langstrassen-Quartier war, bevor es hip wurde: dem «Camino». Es gibt hervor­ragendes Steak mit Chili und Koriander. Und das Dessert serviert Antonio Colaianni, einer von Zürichs bekanntesten Köche in seinem neuen schicken Laden «Gustav».
Weil Zürich eine so angenehme Grösse hat, wird die Tour zu Fuss erledigt. Die Gruppe spaziert gemächlich von Lokal zu Lokal, selten ist der Fussweg länger als 15 Minuten. Die letzte Station, das «Gustav», liegt wieder ganz nah beim «Krokodil» und dem Vergnügungsviertel. Nur für den Fall, dass einer noch nicht genug von Lokalen und Bars hat.
Genusstour Zürich: Georg Twerenbolds Touren können auch abseits der FOOD ZURICH online gebucht werden.

Erschienen in
Food Zurich Spezial 2018

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Tobias Müller
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