Bentley im Porträt: Die Britischen Lords
Kaum eine Luxuskarosse ist so nobel wie Bentley. Jedes Exemplar ist anders, jedes Detail handverlesen. Falstaff hat das Werk in Crewe besucht und hinter die Kulissen geblickt.
«Ich hab schon so viel gesehen, mich kann nichts mehr beeindrucken» – das sagte einst ein Kunde zu Beginn des Rundgangs durch die unter Denkmalschutz stehende Produktionshalle aus Ziegelsteinen. «In dieser Farbe habe ich meinen Bentley bestellt», sprach er bei der Station der Bandmontage, an der die «Hochzeit» von Fahrwerk und Karosserie stattfindet. «Natürlich», antwortete der Guide lächelnd. «Denn das IST Ihr Auto.» Was nach einer Schweigeminute vom Kunden mit einem «Okay, jetzt bin ich beeindruckt» quittiert wurde. So etwas gibt es wohl nur bei einer Marke: bei Bentley. Falstaff hat sich im Werk in Crewe, südlich von Manchester, umgesehen.
Hier trifft Hightech auf Handarbeit: Es sind Menschen, die jeden einzelnen Bentley mit ihren Händen «erschaffen» – lediglich die Verbindung von Karosserie und Antriebsstrang sowie das Auftragen des Klebers der Windschutzscheibe erledigen Maschinen. Ein ganzer Tag vergeht, bis ein zweitüriger Bentley Continental oder ein viertüriger Flying Spur fertiggestellt ist. Doch zuvor steht die Anfertigung der Einzelteile auf dem Programm. Das gewünschte Holzfurnier wird bei exakt 153 Grad Celsius auf den Aluminiumträger gepresst, mehrfach lackiert, geschliffen und poliert. Bis die hölzernen Interieurelemente einbaufertig sind, vergehen fünf Wochen, nicht eingerechnet sind hier jene drei Wochen, in denen das Wurzelholzfurnier zuvor in der Klimakammer lagert. Über 100 Jahre alte Bäume sind es, die ihren Wurzelstock spenden, der gekocht und sauber in 0,6 Millimeter dünne Platten geschält wird. Der Holzbedarf pro Auto wird in Quadratmetern gemessen, nur 17 der 24 Furnierschichten sind im Wagen verbaut. Die anderen sieben liegen unter der Fahrgestellnummer kartiert in Crewe auf Lager, damit bei Reparaturarbeiten Nachschub vom identen Baum geliefert werden kann.
© Max Earey
Leder Aus Bullenhaut
Die Bullenhaut (Kühe kommen wegen der Schwangerschaftsstreifen nicht infrage) aus Skandinavien oder Süddeutschland stammt aus Regionen mit geringer Mückenpopulation und Stacheldraht-freier Haltung. Selbst die kleinsten Oberflächenmängel werden farblich markiert und so von der Weiterverarbeitung ausgeschlossen. Je nach Schnittmuster sind neun oder zehn Häute für einen Bentley erforderlich. Aus diesem Blickwinkel betrachtet ist jeder Bentley klimaneutral unterwegs – so viele Rinder, die jetzt keine Treibhausgase mehr produzieren! Kreuzstiche, die die Lederteile des Innenraums bei gekonnter Kontrastfarbwahl nochmals aufwerten, bedeuten 37 Stunden Mehraufwand. Weil, «normal» vernäht wird das Leder ja sowieso. Mehr als 600 Meter Faden sind dann zusätzlich nötig. Und da haben wir noch nicht die diamantförmig gesteppten Sitzbezüge und Türverkleidungen miteingerechnet.
© Max Earey
Extravagante Sonderwünsche
Man ahnt ob dieser Details, dass beim Konfigurieren eines Bentleys nicht um Preise gefeilscht wird, und man fragt sich auch nicht, ob die hochflorigen, mit kontrastfarbigem Leder eingefassten Fussmatten gratis dabei sind. Beim Erschaffen eines Bentleys spricht man über Wünsche und Ideen, über Erinnerungen und Hoffnungen. Im Werk wurde ein feudales Kaminzimmer, der «Living Room», dafür eingerichtet. Zahllose Schubladen beherbergen Farb- und Materialmuster, und zu jedem gibt es eine Geschichte – die des Kunden, der seine Seidenkrawatte abgenommen und als Farbreferenz hinterlegt hatte, oder jene der Dame, die ihrem Verkaufsberater beim Hausbesuch in Übersee die Fingernägel in den Wunschfarben der Zweifarblackierung bepinselte, weil sie ihm die Fläschchen nicht mitgeben wollte. Ein sehr hübsches Pastellblau heisst intern «Blender Blue», benannt nach dem Küchenmixer, den einst ein Kunde nach Crewe brachte. Und «Fender Sonic Blue» hat den Namen von einer klassischen E-Gitarre, einer Telecaster aus 1963. Am häufigsten berührt man sein Auto am Lenkrad. Deshalb wird dem Volant besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt. Ein Aufwand, der sich lohnt, sind doch 80 Prozent aller je gebauten Bentleys noch in Kundenhand.
Mehr Fakten und die Geschichte der Marke Bentley finden Sie in Falstaff-Schweiz Ausgabe 06/2015.
Von Alexander Seger