Gastronomischer Zen-Meister: Andreas Caminada bei der Gemüseernte in seinem Garten.

Gastronomischer Zen-Meister: Andreas Caminada bei der Gemüseernte in seinem Garten.
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Andreas Caminada: Der Beste im Land

Erst kürzlich wurde Andreas Caminadas progressive Handschrift zur zweitbesten Küche Europas gekürt. Im Gespräch zeigt der Gipfelstürmer seine erdverhaftete, traditionsverbundene Seite.

Er ist ein Phänomen. Wie ein Komet ist Andreas Caminada am Schweizer Gastrohimmel aufgetaucht, in einer Ecke des Landes, in der man das nicht erwartet hätte: im beschaulichen Domleschg in Graubünden. Hier betreibt Caminada auf Schloss Schauenstein in Fürstenau sein Restaurant.
Es gehört nicht nur zur absoluten Spitze des Landes, sondern taucht auch in den internationalen Rankings weit vorne auf. Für Aufsehen sorgte die kürzlich erschienene Bestenliste des renommierten Bewertungsportals «Opinionated About Dining». Während das Pariser «L’Arpège» von Alain Passard den Spitzenplatz im Ranking der besten europäischen Restaurants verteidigte, folgt als einziges Schweizer Restaurant das Schloss Schauenstein auf Platz zwei. «Das ist eine tolle Anerkennung», kommentiert Andreas Caminada den Erfolg bescheiden, «wir freuen uns sehr über den Zuspruch der vielen Gäste weltweit.»

Frische Kreation von Andreas Caminada mit Randen und Limone.
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Frische Kreation von Andreas Caminada mit Randen und Limone.

Mehr noch als bei seinen Kollegen Giovannini und Knogl, mit denen er sich in der Schweiz die höchsten Ratings teilt, wird Caminadas Person als Ikone wahrgenommen. Er ist jung, gutaussehend, medienwirksam – und profitiert vielleicht auch noch ein wenig vom verbreiteten Bündner Bonus. Nicht, dass er den nötig hätte. Seine Küche spricht für sich. Aber faszinierend ist die Begegnung mit Caminada zweifellos. Wenn er am Tisch die Gäste begrüsst, strahlt er die Ruhe, Freundlichkeit und Gelassenheit eines Zen-Meisters aus. Im Gespräch hingegen erweist er sich als Temperamentsbündel und Schnelldenker, der seine Gedanken im Tempo eines Rappers ausbreitet.

«Ich glaube nicht, dass eine Sache besser wird, je mehr Zeit man hat. Ich bin einer, der immer ein wenig Druck braucht.»
Andreas Caminada, Koch

Das Phänomen von Schloss Schauenstein: Andreas Caminada bei der Arbeit.
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Das Phänomen von Schloss Schauenstein: Andreas Caminada bei der Arbeit.
Gekühlte Gurkensuppe mit Avocado und Buttermilch.
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Gekühlte Gurkensuppe mit Avocado und Buttermilch.

Auch im Küchenstil unterscheidet sich Caminada deutlich von seinen Kollegen der Oberliga. «Wir sind jünger, wir haben einen anderen Ansatz, und wir wollten schon immer modern sein. Aber ich schätze meine klassischeren Kollegen sehr – Knogl ist grossartig, bei ihm würdest du am liebsten alles dreimal auslöffeln. Mir ist aber Veränderung sehr wichtig – nur so macht mir mein Restaurant Spass.» Caminada nun einfach als Modernisten abzustempeln, würde dennoch zu kurz greifen. «Ferran Adrià beispielsweise war Avantgardist, er hat alles neu erfinden wollen. Das ist keine Küche, die du jeden Tag essen möchtest. Für einmal ist das gewiss interessant und beeinflusst dich auf einer rein gedanklichen Ebene. Wir sind aber hier ein klassisches Restaurant. Ich will ein Gesamterlebnis bieten, sodass die Leute sagen: Wow! Es ist aber in erster Linie extrem schmackhaft und gut gewesen. Sicher, es muss kreativ sein, es muss ein Gedanke dahinter stecken. Aber ich will nicht nur überraschen und äusserlichen Effekt anstreben. Ich will den Effekt über den Geschmack erzielen, über die Harmonie.»

Caminada kocht mit regionalen Produkten: «Der Apfel aus dem eigenen Garten ist der neue Luxus.» Im Bild: Kreation mit Rhabarber, Joghurt und Molke.
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Caminada kocht mit regionalen Produkten: «Der Apfel aus dem eigenen Garten ist der neue Luxus.» Im Bild: Kreation mit Rhabarber, Joghurt und Molke.

Apropos Ferran Adrià: Der hat ja bekanntlich sein «El Bulli» monatelang zugesperrt, um Zeit für Entwicklungsarbeit zu haben. Würde Caminada so etwas nicht auch wollen? «Das würde ich schon gerne tun, aber ganz einfach ist es nicht. Nächstes Jahr schliessen wir ab Januar für vier Monate. Nach fünfzehn Jahren brauche ich auch mal Zeit für die Familie. Aber sonst … ich glaube nicht, dass eine Sache besser wird, je mehr Zeit man hat. Ich bin einer, der immer ein wenig Druck braucht. Sonst schiebe ich die Sachen laufend vor mich hin. Ein neues Menü kommt, ein neues Magazin – jetzt ist Frühling, die Spargeln und Kräuter sind da, jetzt müssen wir etwas bringen. Dann passiert es.»
Das Magazin, das Caminada anspricht, ist in seinem Konzept besonders wichtig. «Es ist eine Visitenkarte des Hauses, unser einziges Sprachrohr ins Ausland, denn es gibt auch eine englische Ausgabe. Mit ihm können wir unsere Kultur und unser Schaffen präsentieren. Man soll hier auch nach fünf Jahren wieder ein Rezept nachschlagen können. Es ist also auch ein Dokument, wo wir unsere Arbeit archivieren. Ein Werkzeug für mich, um an der Sache dranzubleiben. Mit ihm zwinge ich mich dazu, nach aussen zu gehen, immer den neuesten Weg zu suchen. Das wirkt spürbar auf unsere Küche zurück.» In dem Magazin kommen darüber hinaus Kollegen und Produzenten, aber auch Künstler zu Wort. Auf sie bezieht sich Caminada in seiner Küche besonders gerne. Natürlich suchen auch andere Köche die Nähe zur Kunst, indem sie etwa Gemälde aufhängen. Bei Caminada geht die Sache aber deutlich weiter, wenn er etwa eine Architektur von Peter Zumthor auf dem Teller nachempfindet. «Es ist spannend, sich mit den Künstlern auseinanderzusetzen, und zwar nicht nur über ihre Arbeiten. Ihre Einstellung, Ausrichtung, Ansichten, Ideologie – das ist es, was einen inspiriert. Es ist ein Motivationsschub. Für das Entwickeln der Visionen, die wir  hier haben. Für die Zukunft. Auf diese Weise sind Sachen entstanden, die ich sonst nie gemacht hätte.»

Dinieren im Schloss. Caminada aber sagt: «Wir sind ein klassisches Restaurant.»
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Dinieren im Schloss. Caminada aber sagt: «Wir sind ein klassisches Restaurant.»

Muss man denn Philosoph, Intellektueller oder Künstler sein, um Caminadas Teller wirklich verstehen zu können? «Das wäre anstrengend. Die meisten unserer Gäste gehen gerne in gute Restaurants, sie suchen nach einem perfekten Lunch oder Dinner.
Ich glaube, es gibt verschiedene Ansätze von Befriedigung. Die einen holen sie sich über den Gaumen, die anderen über den Kopf. Alles hat seine Berechtigung. Eine gute Mischung ist sinnvoll, aber wenn es nur über den Kopf geht – das ist vielleicht sehr spannend für diejenigen, die solches interessiert. Aber schlussendlich ist das Essen auch einfach eine Nahrungsaufnahme, die Spass machen soll. Ein Moment, in dem man sich sagt: Wir gönnen uns etwas, wir haben etwas zu feiern.»

Rohmilch und Blaubeeren komponiert Caminada zu einem Dessert-Kunstwerk.
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Rohmilch und Blaubeeren komponiert Caminada zu einem Dessert-Kunstwerk.

Sehnsucht nach dem Ursprung

Ein progressiver Koch wie Caminada macht sich auch Gedanken, wo die Entwicklung in der Gastronomie hinführen könnte. «In der Massengastronomie ist Südamerika sehr im Kommen. Peruanische Ceviche und mexikanische Tacos kennen wir schon lange. Es gibt aber hier noch einen anderen Ansatz. In Peru und Kolumbien existieren so viele Produkte, die wir gar nicht kennen. In unserem Segment wird sicher weiterhin die Regionalität ein grosses Thema sein. Ich glaube, dass nach der ganzen Globalisierung, die dazu geführt hat, dass man überall alles haben kann, sich viele wieder auf die Produkte besinnen, die es vor Ort gibt. Man sehnt sich nach dem Ursprünglichen. Ich will wieder wissen, was eine Dörrbirne ist, oder wo mein Apfel herkommt. Der Apfel vom Baum aus dem eigenen Garten, das ist der neue Luxus.»
An die Zukunft denkt Camina nicht nur, wenn es um den Küchenstil geht. Er, der Vierzigjährige, fördert mit seiner Stiftung «Fundaziun Uccelin» Jungtalente – eine Idee, auf die andere wohl erst kurz vor Karrieren­ende kommen würden. «Von jedem unserer Menüs gehen zwei Franken in die Stiftung. So kommen jährlich fast 35.000 Franken zusammen. Mit diesem Geld finanzieren wir Förderprogramme für die Jungen.
Ein solches Programm dauert ein knappes halbes Jahr und kostet 12.000 Franken pro Person. Die jungen Leute sind bei uns, bei Produzenten oder unterwegs. Drei sind jetzt gerade in den USA – wir besorgen ihnen Unterkunft, Reise, Green Cards, Visa, alles. So etwas hat Zukunft. Wer will heute noch Koch werden? Es gibt so viele Abbrüche in dem Beruf. Dabei ist es so etwas Schönes. Und ich glaube, mit der Stiftung haben wir ein Zeichen gesetzt, das die ganze Branche aufwertet.»
Ein Rezept von Andreas Caminada finden Sie unter »MEHR ENTDECKEN« zum Nachkochen.

Stephan Thomas
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